Wohlstand im Schaufenster

Die zwischen allem leben: Eine Fotoausstellung über von der Abschiebung bedrohte Familien bosnischer Roma in der Kreuzberger NGBK  ■ Von Constanze von Bullion

Ziba ist skeptisch. Verschränkt die faltigen Hände mit den Goldringen vor dem Bauch. Drückt die schmalen Lippen zusammen und wirft einen scharfen Blick über die Nase. Die ganze Familie ist gekommen. Die Herren parfümiert, in Schlips und Kragen. Die Damen in eleganter Abendgarderobe, mit breiten Tatoos auf den Händen. Bei Minusgraden haben sie den Grill im Hof angeworfen, essen Ćevapčići und Pljeskavica, lassen sich die Ohren vollgeigen und trinken viele Bierkästen leer. Während die Kinder die Pfandflaschen verhökern. „Ich will kein Elend und keine Galle mehr“, würde Ziba zu der Party sagen. 62 Jahre lebte die Roma-Oma aus Tuzla, fünf davon in Berlin. Jetzt ist sie tot und die Nachkommen drängeln sich um ihr Foto: Bei der Eröffnung von „Duldung“, einer Ausstellung über bosnische Roma-Familien in Berlin.

„Wir haben Klischees bewußt vermieden“, sagt Lith Bahlmann, „die Leute sollen durch Bilder und Sprache die Denkweise der Roma mitkriegen.“ Schwarz-weiße Porträts und Momentaufnahmen aus Flüchtlingslagern hat die Berliner Künstlerin fotografiert – zusammen mit ihren Freunden, den Bosniern Nihad Nino Pušija und Alen Hebilovič und mit Aleksandar Saša Kuzman aus Serbien. Kennengelernt haben sich die vier bei Drago Garič, „der hatte die Idee, weil er in seiner Seele selbst ein Roma ist“.

In Wirklichkeit ist er das nicht. Deshalb kann er schreiben. Hat aufgezeichnet, was Roma-Großeltern ihren Enkeln erzählen. Und hat die seltsamen Geschichten auf weiße Papierfahnen gedruckt, die in der Ausstellung von der Decke baumeln. Die Geschichte von der „Frau im Fall“ gibt es da, die Ziba bei ihrer ersten Schwangerschaft prophezeite: „Dieser in deinem Bauch wird dir dein Leben auslöschen.“ Die Geschichte vom Betteln in Bosnien, wo Ziba „Schnecken und Brennesseln gesammelt“ hat. Die vom glücklichen Fund eines Grundig-Fernsehers, bei dem das Bild „klar wie Milch“ ist. Oder die Geschichte von „Dum-Dung“ und „Ofenalt“ – von Duldung und Aufenthalt in Deutschland.

Der geht bei den meisten bosnischen Roma zu Ende. Seit der Krieg auf dem Balkan vorbei ist, wird in Berlin rigoros abgeschoben. Wohin, das wissen die wenigsten der rund 7.000 hier lebenden Roma-Flüchtlinge. Pargan Ahmedtovič, Zibas Mann, wollte es wissen. „Ich gehe nach Hause. Was soll ich hier“, sagt der kleine Herr mit den grauen Schläfen. Von zwei Dutzend Verwandten ließ der Sippenälteste sich am Busbahnhof verabschieden und fuhr zurück nach Tuzla. Da fand er sein Haus, fand ein zerlöchertes Dach, die Fenster waren längst herausgefallen. „Hier wäre genug Boden, um die Familie zu ernähren“, sagt er noch trotzig in die Kamera. Dann gab er auf.

Seine erfolglose Reise in die Vergangenheit hat Nadya Derado dokumentiert. „Gypsies go to Berlin“ heißt ihr Videofilm, der in den Ausstellungsräumen hinter einem goldenen Vorhang läuft. Was da zu sehen ist, hat mit Roma-Schmonzetten und Operettenpathos wenig zu tun. Geprügelt und geheult, geboren und gefeiert, gehungert und gesoffen wird in den Lebensgeschichten der Leute, die jetzt in Berlin in der Warteschleife hängen. Die nicht zurück können, ohne ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. Und die nicht hierbleiben können, ohne ihre Identität aufzugeben.

Was sich in seelenlosen Containersiedlungen, zwischen Blümchentapeten, falschen Perserteppichen und Einbauwänden voller Nippes abspielt, hat mit den typischen Lebensformen der Roma, mit Traditionen und festgelegten Regeln immer weniger zu tun. „Hier ist unser Volk hochnäsig geworden“, sagt die alte Ziba über das Leben in Deutschland. „Niemand guckt jemanden an. Alle jagen deutsche Mark.“

Kein Wunder. In der Vergangenheit zu leben, konnten sich die Roma nie leisten. Früher in Bosnien nicht. Und heute in Berlin auch nicht. Weil es verdammt anstrengend ist, sich durch den Wust behördlicher Vorschriften zu kämpfen, wenn man nicht lesen kann. Weil jeder Besuch auf dem Amt ein Staatsakt ist, wenn man das Formular nicht ausfüllen kann. Und weil es Nerven kostet, sich jeden Tag Wohlstand und Überfluß in den Schaufenstern anzuschauen, ohne sich selbst etwas abschneiden zu dürfen vom großen Kuchen.

Ziba war auf dem Weg zum Sozialamt, als ein Motorrad sie auf den Asphalt schleuderte. Ihr ältester Sohn, aus dessen Auto sie gerade gestiegen war, macht sich heute noch Vorwürfe deshalb. „Beim Trauerfest“, schimpft sein Vater Pargan Ahmedtovič, „hat er beim Essen und Trinken gespart. Das ist eine Schande.“

Für die Eröffnung der Ausstellung wird der Familienkrach dann noch einmal vertagt. Bis morgens um vier dauert die Feier. Bis der Grill ausgeht und das Foto von Ziba verschwunden ist aus den Ausstellungsräumen. Der Platz an der Wand bleibt leer. Hingehen lohnt sich trotzdem.

Oranienstraße 25, täglich 12–18.30 Uhr, noch bis 2. März, Katalog in der Galerie erhältlich