Der Clown regiert den ganzen Zirkus

■ Mit radikalen Steuererhöhungen versucht Präsident Bucaram sein ohnehin inkohärentes Wirtschaftsprogramm durchzupeitschen – gegen alle Widerstände

„Wenn man wenigstens einen Stufenplan angewandt hätte“, klagt Don Eduardo, ein Landwirt aus dem oberen Guayllabamba, im Nordwesten der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. „Aber jetzt können wir Armen noch nicht einmal mehr kochen. Es reicht!“

Seit dem 8. Januar protestieren Tausende in vielen Städten Ecuadors gegen die Verdreifachung der Gaspreise. Die Aufhebung der Subventionen für Erdgas addierte sich zu der am 1. Januar eingeführten massiven Erhöhung der Steuern auf Tabak (+143 Prozent), Schnaps (+63 Prozent) und Bier, Wein und Colagetränke (+15 Prozent). Die staatlich kontrollierten Preise für Strom und Telefon steigen ebenfalls.

Das Hauptproblem der Politik ist die Unfähigkeit

Auch die Fördermaßnahmen im öffentlichen Nahverkehr werden aufgehoben – Ecuador ist subventionsfrei. Seit dem Ausbruch der Unruhen bis zum Generalstreik der letzten zwei Tage gab es eine Tote, die am „Warnschuß“ eines Polizisten starb, und mehrere Schwerverletzte. Der Generalstreik der letzten zwei Tage ist der vorläufige Höhepunkt der Proteste gegen die Regierung des erst seit August vergangenen Jahres amtierenden populistischen Präsidenten Abdalá Bucaram.

Er hatte am 27. Dezember eine Wirtschaftsreform durch den Kongreß gepeitscht, die seine Regierung in die Lage versetzen soll, noch vor dem 1. Juli die Landeswährung Sucre in einer Parität von vier zu eins an den US-Dollar zu binden. Die Regierung klammert sich an dieses Programm wie ein Besoffener an eine Laterne, während immer neue Korruptionsskandale die Medien beschäftigen. Gleichzeitig zweifeln ecuadorianische Ökonomen an der Fachkompetenz dieser Regierung, den Plan tatsächlich durchzuführen, obwohl eine Weltbankmission den Plan am 23. Januar guthieß. Die Verdoppelung der jährlichen Inflationsrate auf inzwischen 25 Prozent beunruhigt die Weltbank nicht.

„Unser Problem ist die Unfähigkeit in der Politik“, schrieb jüngst der christdemokratische Expräsident und angesehene Politologe Osvaldo Hurtado im Nachrichtenmagazin Vistazo. Seit 1979 beherrschen drei parteipolitische Gruppen die Politik: die rechtspopulistische „Sozialchristliche Partei“ (PSC), die von Abdalá Bucaram gegründete, populistische „Roldosistische Partei Ecuadors“ (PRE, benannt nach Jaime Roldós, dem ersten Präsidenten nach der Militärdiktatur), und die „ideologischen“ Parteien, die christdemokratische „Volksdemokratie“ und die sozialdemokratische „Demokratische Linke“ (ID). Dazu kommen zahlreiche liberale und kommunistische Zwergparteien, als neueste die 1995 entstandene Indigenenpartei „Pachakutik“ (Neues Land). Die sieben Jahre Parteiverbot unter der Militärdiktatur (1972–79) reichten, um die Parteien entschieden zu schwächen. Sie repräsentieren kaum jemanden mehr als ihre Parteioberen, dagegen haben die Interessengruppen – der Gewerkschaften, der Indigenen, und vor allem der Arbeitgeber – einen erheblichen Einfluß.

Wirtschaftlich hat das 11,5-Millionen-Einwohner-Land nicht viel vorzuweisen. Seit dem Ende der Militärherrschaft suchten mehrere Katastrophen die Erdöl- und Bananenrepublik heim – einige extern, andere hausgemacht: Der Verfall des Erdölpreises, Überschwemmungen und Erdbeben sowie zwei Grenzkriege mit dem südlichen Nachbarn Peru. Die Schulden, Hinterlassenschaft der Militärdiktatur, fressen die Hälfte des Staatshaushalts. Kolumbien und Peru, Ecuadors Nachbarn an der Westküsten Südamerikas, haben das Land wirtschaftlich längst überflügelt – trotz ihrer Probleme mit Guerilla-Bewegungen und Drogenhandel.

Wahl zwischen Krebs und Aids – Sieger: Bucaram

Auf einer Häuserwand in Cuenca, Ecuadors drittgrößter Stadt, steht: „Nebot, ich hasse dich, du zwingst mich, Abdalá zu wählen!“ Jaime Nebot war der Präsidentschaftskandidat der PSC, der in der Stichwahl im Juli 1996 Bucaram unterlag. In der ersten Runde hatte Bucaram wenig mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten und lag somit fast gleichauf mit seinem rechten Konkurrenten. Die späte Kandidatur des Fernsehmoderators Freddy Ehlers, der von Pachakutik und der Demokratischen Linken lanciert wurde, spaltete aber die eigentlich mehrheitsfähige antipopulistische Wählerschaft (35 Prozent) und ermöglichte die, wie man im Hochland Ecuadors sagte, „Wahl zwischen Krebs und Aids“, zwischen Abdalá und Nebot.

Vor allem seine Auftritte als Schlagersänger und die damit verbundene Veröffentlichung seiner CD „A Madman in Love“ haben Abdalá Bucaram weltweit zu einem zweifelhaften Ruf verholfen. Währenddessen bemächtigt sich eine schamlose Vetternwirtschaft einer bereits vorher chronisch ineffizienten Bürokratie. Abdalás Bruder Adolfo ist Sozialminister, zwei weitere Brüder, Santiago und Jacobo, sitzen im Kongreß, seine Schwester Elsa und vier Vettern bekleiden ebenfalls Regierungsämter. „Ich habe 500 Verwandte, und alle sind Politiker“, hat Bucaram bereits im August verkündet. Energieminister Alfredo Adum, vormals Bucarams Wahlkampfmanager, hat vier junge Frauen zu den Chefverhandlerinnen der staatlichen Erdölgesellschaft „Petroecuador“ ernannt – die haben zwar keine Erfahrung im Erdölgeschäft, aber sie gehören per Heirat zum Bucaram-Clan.

„Der Clown regiert den ganzen Zirkus“, seufzt der bekannte Fernsehmoderator Alfonso Espinosa de los Monteros. Inländische Medien berichten fast nur noch dann über Bucarams Aktionen, wenn sie wieder einmal mit einem skandalösen Fehlschlag enden. 100.000 Schulranzen sollten seit Mitte Dezember an bedürftige Schüler vergeben werden; bisher waren es nur 3.000. Die Verteilung von Weihnachtsgeschenken an arme Kinder (nachdem Bucaram 14 Stunden tanzend, singend und flirtend einen Fernsehmarathon moderiert hatte), geschah nur punktuell und dauerte bis Mitte Januar noch an, und die Lieferung verbilligter Milch unter dem Namen „Abdalact“ mußte am 19. Januar eingestellt werden.

Medienkritik verträgt die Regierung schlecht. In seiner Regierungserklärtung vom 23. November, in der er sein Wirtschaftsprogramm erstmals vorstellte, las er über achtzig Ausdrücke vor, mit denen er angeblich von der linksliberalen Zeitung Hoy beleidigt worden sei; unter diesen Schmähungen befand sich auch der Terminus „sui generis“.

Gewalt bei Schüler- und Studentenunruhen

Energieminister Adum, der von sich selbst behauptet, er sei eigentlich ein „bekleideter Cro-Magnon, der am liebsten attraktive Frauen in seine Höhle schleifen und dort genießen“ würde, bedrohte vor laufenden Kameras den Fernsehjournalisten Bernardo Abad mit dem Tode.

Die Opposition ist zahlreicher als die, wie Bucaram am 2. Januar sagte, „vier Schwulen im Kongreß.“ Der Journalistenverband antwortete auf die Attacken gegen die Pressefreiheit am 8. Januar mit einem Protestmarsch in der Hauptstadt, mit dem sich Hunderte solidarisierten. Gleichzeitig brachen in mehreren Städten ungewöhnlich gewalttätige Schüler- und Studentenunruhen aus. Die Protestkundgebungen gegen die Streichung der Subventionen dauern an. Nicht nur die gewerkschaftlichen Dachverbände und die Konföderation der Indigenen Völker, auch der Arbeitgeberverband von Pichincha und sämtliche Oppositionsparteien, vom PSC bis zur maoistischen MPD, riefen zur Teilnahme am Generalstreik auf. Stephan Küffner