Bis zum Wahnsinn spekulieren

■ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Gernot Erler über die Chancen der Opposition in Bulgarien, die Probleme der Privatisierung, ausländische Finanzhilfe und Investitionen

taz: Im April sollen in Bulgarien Neuwahlen stattfinden. Die Opposition feiert ihren Sieg. Und Staatspräsident Petar Stojanow mahnt zur Zurückhaltung.

Gernot Erler: Zu Recht. Auch ich bin skeptisch. Die Opposition hat noch kein geschlossenes Programm vorgelegt. Das Wichtigste für Bulgarien ist im Augenblick, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für internationale Finanzhilfen geschaffen werden. Bisher hat noch niemand die Frage beantwortet, wie das geschehen soll.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Schaffung eines Währungsrates. Was würde die Einführung einer solchen Institution praktisch bedeuten?

Der bulgarische Lew würde an eine harte Währung, wahrscheinlich die D-Mark gebunden. Die Geldmenge würde drastisch begrenzt und kontrolliert. Dadurch würden die ganzen Subventionen wegfallen, genauso wie die Refinanzierung der Privatbanken durch die Zentralbank. Wenn Subventionen und Kredite ausbleiben, würde das für viele Staatsbetriebe die Schließung bedeuten. An dieser Schocktherapie wird eine neue Regierung nicht vorbeikommen. Diese Maßnahmen müssen aber sozial abgefedert werden.

Was ist nach Schaffung des Währungsrates vorgesehen?

Wenn der Währungsrat arbeitet, ist der IWF bereit, sofort 900 Millionen Dollar Finanz- und Währungshilfe zur Verfügung zu stellen. Mit diesem Geld werden dann die bulgarischen Devisenreserven aufgestockt. Das ist für Bulgarien extrem wichtig. Das Land ist mit 9 Milliarden Dollar verschuldet. Und im Juli dieses Jahres sind aus diesen Schulden die nächsten Zahlungen an den Londoner Klub der Banken fällig.

Ein weiteres großes Problem für Bulgarien ist die Zurückhaltung ausländischer Investoren.

Bulgarien hat seit 1990 nicht mehr als 900 Millionen Dollar akkumulieren können und liegt damit in Osteuropa ganz hinten. Ungarn hat es im gleichen Zeitraum auf 56 Milliarden Dollar gebracht. Dafür sind mehrere Faktoren verantworlich. Zum einen hat Bulgarien große Nachteile durch den Golfkrieg von 1991 erlitten. Der Irak hat seine Schulden bis heute nicht zurückgezahlt. Auch durch das Embargo gegen Restjugoslawien wurden die Bulgaren schwer getroffen. Und Kompensationen europäischerseits gab es nicht. Viele investitionshemmende Faktoren sind aber auch hausgemacht. Dazu gehören vor allem unzureichende Gesetze und eine verheerende Praxis bei den Privatisierungen. Aber ich bin optimistisch, daß die jetzige Opposition recht schnell ein besseres Umfeld für die dringend benötigten Investitionen schaffen wird.

Was macht Sie so zuversichtlich?

Die bisherige Privatisierung in Bulgarien war von einer unheiligen Allianz zwischen der sogenannten roten Nomenklatura und neuen Jungunternehmern gekennzeichnet. Diese Unternehmer haben sich häufig jenseits des Legalen zu Konzernen zusammengeschlossen und das Land regelrecht ausgeplündert. Alles, was wertvoll war, ist in den Händen dieser Leute gelandet. Gerade sie haben ein großes Interesse daran, daß das Investitionsklima ungünstig ist und das wirtschaftliche Chaos aufrechterhalten wird. So können sie am besten ihre Geschäfte machen. Bei der augenblicklichen Hyperinflation können diejenigen, die über erhebliche Devisenreserven verfügen, bis zum Wahnsinn spekulieren. Man kann davon ausgehen, daß die Opposition viel weniger in diese unheilige Allianz verstrickt ist, so daß sie großes Interesse daran hat, das Umfeld für Investitionen zu verbessern.

Selbst wenn sich die Bedingungen für Auslandsinvestitionen verbessern, bleibt doch die Frage, warum sich das Ausland gerade in Bulgarien engagieren sollte.

Es gibt handfeste wirtschaftliche Interessen des Auslands in Bulgarien. Rußland will ins Erdölgeschäft. Es gibt bereits ein Projekt des Energiekonzerns Gasprom mit bulgarischen Firmen. Dabei geht es um eine Pipeline von der Schwarzmeerstadt Burgas bis Alexandroupolis an der griechischen Küste. Zu glauben, daß die westlichen Länder nur darauf warten, in Bulgarien zu investieren, ist eine Illusion. Dessen ist sich die politische Klasse in Bulgarien aber auch bewußt. Interview: Barbara Oertel