: Die Bundesanstalt für Arbeit meldet einen neuen Rekord: fast 4,7 Millionen Arbeitslose. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt herrscht gleichzeitig aber auch eine hohe Dynamik, die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in den letzten Jahren nicht gest
Die Bundesanstalt für Arbeit meldet einen neuen Rekord: fast 4,7 Millionen Arbeitslose. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt herrscht gleichzeitig aber auch eine hohe Dynamik, die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in den letzten Jahren nicht gestiegen
Wachstum am Standort Nürnberg
„Erschreckend und alarmierend“ nennt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit (BfA), Bernhard Jagoda, den neuen Arbeitslosenrekord. Bei fast 4,7 Millionen registrierten Arbeitslosen gelte es jetzt, „einen klaren Kopf zu behalten“.
Der CDU-Mann, der vor vier Jahren das Präsidentenamt angetreten hat, um „die Wahrheit auf den Tisch zu legen und nichts zu beschönigen“, bedient sich zusehends der Sprache eines Kriegsberichterstatters. Aber nicht, um die Lage zu dramatisieren. Die sei zwar „ernst“, aber deswegen müsse man noch lange nicht die „weiße Flagge am Standort Deutschland aufziehen“.
Auch die Zeit, „die Kapitulation einzuleiten“, sei angesichts der „großen Herausforderungen“ des darniederliegenden Arbeitsmarktes noch nicht gekommen. In der Nürnberger Bundesanstalt verweist man auf das vom hauseigenen Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) erstellte Maßnahmenbündel zur Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000. Die Modellrechnungen liegen zwar schon seit August letzten Jahres auf dem Tisch, doch bewirkt haben sie noch nichts. Anreize für Teilzeit- und Verkürzung der Lebens- und Jahresarbeitszeit – bislang Fehlanzeigen.
Die Zahl der Überstunden lag zwar 1996 schon um zehn Prozent niedriger als im Vorjahr, doch die Arbeitslosigkeit stieg weiter, und noch immer wurden 1,8 Milliarden Überstunden geleistet. Lediglich die vom IAB geforderte tarifpolitische Zurückhaltung wurde eingelöst.
Jagoda geht es mittlerweile aber nicht mehr so sehr um die Maßnahmen im einzelnen. Er sehe in dem Papier in erster Linie den Nachweis, daß eine „Änderung der volkswirtschaftlichen Rahmendaten sehr wohl Einfluß auf die Beschäftigung hat“. Mehr nicht.
In Nürnberg ist man bescheiden geworden. Zwangsweise. Aufgrund der Etatkürzungen, die die Bundesregierung gegen den Willen der Selbstverwaltungsgremien der BfA durchgesetzt hat, können die Arbeitsämter 1997 3,5 Milliarden Mark weniger für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgeben als im Jahr zuvor. Schon jetzt sind die beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen und die produktiven Lohnkostenzuschüsse so stark zurückgegangen, daß der Arbeitsmarkt im Januar um 80.000 Personen weniger entlastet wurde als im Dezember 1996. Insgesamt schlagen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nurmehr mit einer Entlastung von 1,33 Millionen Personen zu Buche. „Eine Rückführung aktiver Arbeitsmarktpolitik wäre eine falsche Reaktion“, warnt Jagoda.
Warnungen aus Nürnberg ohne Folgen. „Wir dürfen uns nicht kaputtsparen, die labile Situation könnte sich krisenhaft zuspitzen“, hatte der IAB-Chef Hanspeter Leikeb schon Anfang März 1996 eindringlich gewarnt. Damals hatte man gerade mit 4,27 Millionen Arbeitslosen die bis dahin höchste Zahl in der Nachkriegsgeschichte erreicht. Jetzt ist sogar die Rekordmarke vom Juli 1933 mit 4,46 Millionen Arbeitslosen überschritten. Doch die Sparpolitik um der Einhaltung der Kriterien von Maastricht willen wird weiter fortgesetzt.
„Eine Konsolidierungspolitik zur Unzeit eines konjunkturellen Abschwungs birgt immer Gefahren in sich“, äußert sich der wissenschaftliche Direktor des IAB, Eugen Spitznagel, betont vorsichtig. Er verwies auf den Frühjahrsaufschwung, der komme wie ein „Naturgesetz“.
Über den saisonalen Aufwärtstrend hinaus wird es aber wohl keine Belebung geben. Hatte man bislang die Beschäftigungsschwelle, ab der sich wirtschaftliches Wachstum in zusätzliche Beschäftigung auswirkt, bislang zwischen 1,7 und 2,5 Prozent angesiedelt, spricht BfA-Präsident Jagoda jetzt von drei Prozent. Jeder Prozentpunkt darüber bringt etwa 120.000 neue Arbeitsplätze. Doch dazu wird es nicht kommen. Der aktuelle Jahreswirtschaftsbericht geht von einem Wachstum von 2,5 Prozent aus. Licht am Ende des Tunnels sehen die IAB-Experten denn auch erst im Jahre 1998.
Die Arbeitslosenzahlen steigen, auf dem Arbeitsmarkt herrscht gleichzeitig aber auch eine hohe Dynamik. Auch nach den Januar- Zahlen der BfA sind lediglich ein Drittel der Erwerbslosen länger als ein Jahr ohne Job, gelten also als langzeitarbeitslos. Grob gerechnet sucht ein weiteres Drittel zwischen drei Monaten und einem Jahr nach Arbeit. Das letzte Drittel ist nur bis zu einer Dauer von drei Monaten erwerbslos.
Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist in den vergangenen zwei Jahren nicht gestiegen, im Osten sogar gesunken. Die BfA-Statistik ist aber umstritten. Diejenigen werden nicht mehr mitgezählt, die gar nicht mehr beim Arbeitsamt auftauchen und sich in die sogenannte stille Reserve zurückziehen. Außerdem gilt schon nicht mehr als langzeitarbeitslos, wer beispielsweise eine Weiterbildung absolviert oder auch nur kurze Zeit einen Job gefunden hat. Bernd Siegler, Nürnberg
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