■ Das geplante Berliner Holocaust-Mahnmal ist zu laut und zu monumental. Ihm fehlt, was not tut: Nachdenklichkeit
: Gegen die blinde Beklommenheit

Es ist richtig und gerecht, mit einem Denkmal an die Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland zu erinnern. Viel spricht für ein Denkmal in der Mitte Berlins. Es ist gut, daß es rasch gebaut werden soll. Doch wichtige Fragen sind offen.

Man darf von einem solchen Denkmal nicht zuviel erwarten. Vergegenwärtigen, was damals geschah? Das kann es nicht. Die Reue der Deutschen ausdrücken? Auch das überfordert das Denkmal. Identifikation mit den Opfern? Das mag ein Holocaust- Denkmal der Juden in Israel beanspruchen können, doch kann dies nicht der Zweck eines Denkmals sein, das im Land der Täter errichtet wird, es würde zu Recht als Vereinnahmung und Anbiederung kritisiert.

Welche Art von Erinnerung ist also gemeint? In Berlin sollte das Denkmal zum einen vor allem Trauer ausdrücken, Trauer über die Leiden, den gewaltsamen Tod und den großen Verlust, den die Vernichtung der Juden für uns in Deutschland und Europa bedeutet; zum Ausdruck der Trauer sind Denkmäler fähig. Zum anderen sollte es Entsetzen über die Exzesse der Unmenschlichkeit, die Größe der Untaten, die Beispiellosigkeit des staatlichen Massenmords versinnbildlichen.

Es ist schwierig, aber durchaus nicht unmöglich, daß ein Denkmal Entsetzen signalisiert. Ein Drittes sollte hinzukommen: der Ausdruck von Scham darüber, daß man als Deutscher dem Volk angehört, das die hauptsächlichen Täter hervorgebracht, geduldet, getragen und unterstützt hat. Scham aber macht leise, wendet sich nach innen, scheut die große Gebärde. Es ist nicht klar, ob Denkmäler, die ja notwendigerweise demonstrativ auf Darstellung nach außen zielen, überhaupt Scham ausdrücken können.

Unter den neun prämierten Entwürfen, aus denen das zu bauende Projekt jetzt ausgesucht werden soll, gibt es keinen, dem die dreifache Aussage von Trauer, Entsetzen und Scham gelingt. Alle sind zu monumental, zu laut, zu groß geraten. Vielleicht liegt es daran, daß die Auslobung nicht genau genug war, weil die Auslober nicht genau wußten, was sie wollten? Das würde für eine neue Auslobung sprechen – und wohl auch für eine neue Jury. Oder sind die professionellen Künstler nicht bereit, sich auf Vorgaben dieser Art einzulassen? Das mindeste ist, daß man für die anstehende Auswahl nicht nur die prämierten neun, sondern die mehr als 500 überhaupt eingegangenen Entwürfe erneut in Betracht zieht.

Das Denkmal soll an die ermordeten europäischen Juden erinnern. Sie waren nicht die einzigen Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Zu diesen gehörten auch die geistig und körperlich Behinderten, die als asozial definierten Randgruppen, die Sinti und Roma, die Zeugen Jehovas, viele Linke, Oppositionelle, viele Homosexuelle und Millionen hilfloser Zivilisten und wehrloser Gefangener in und aus Osteuropa.

Viele würden im Land der Täter ein Denkmal „für alle Vergasten, Erschossenen, Gehängten und zu Tode Gequälten des NS-Terrors“ (Schoenberner) vorziehen. Allerdings gibt es gute Gründe für ein speziell den ermordeten Juden gewidmetes Denkmal: vor allem die Zentralität, die Ungeheuerlichkeit und die Einzigartigkeit des Holocaust in der Geschichte der Menschheit. Überdies impliziert jede Opferdefinition neue Ausgrenzungen und Konflikte oder wird so allgemein, daß ihre Pauschalität verharmlost.

Die Gruppen der Opfer haben ihr nicht überspringbares Mitspracherecht. Für sie steht die Erinnerung durch ein solches Denkmal in besonderen Sinnzusammenhängen, auch solchen der Identität und der Identitätspolitik. Für manche von ihnen ist eine gemeinsame Gedenkstätte mit anderen Gruppen nicht akzeptabel. So auch in diesem Fall. Es sollte also bei einem Denkmal für die jüdischen Opfer bleiben.

Also muß man sich über die wahrscheinlichen Folgen klar sein: Es wird keinen gerechten Grund geben, anderen Opfergruppen ihr öffentliches Denkmal zu verweigern. Und wie verhindert man die von Kritikern vorausgesagte unwürdige Hierarchisierung der Totenmale nach Größe, Ausstattung und Standort? Hat die Stadt einen Plan? Oder entscheidet am Ende das Ausmaß des Drucks, den die einzelnen Opfergruppen in Gesellschaft und Politik mobilisieren können?

Die Jury entschied sich für die mittlerweile fast allgemein abgelehnte, monumentale „Grabplatte“, weil sie „auf faszinierende Weise Beklommenheit“ auslöste. Aber Faszination und Beklommenheit sind nicht genug. Es kommt darauf an, welche Schlüsse die Betrachter daraus ziehen. Dafür braucht man Information: über Opfer und Täter, über Ursachen und Zusammenhänge, man braucht Erklärung und Deutung. Beim heutigen und künftigen Umgang mit jenen Verbrechen hat Betroffenheit ihren unaufgebbaren Platz, aber ohne Verstand ist sie blind. Die emotionale und die kognitive Dimension gehören zusammen. Das Problem ist noch nicht gelöst.

Entweder man bezieht die Elemente der Information und der Reflexion in das Denkmal selbst ein, das sich damit zur Gedenkstätte entwickelt. Ober aber man bringt das Denkmal in eine Verweisbeziehung zu einem Ort der Information, des Lernens und der Reflexion. Will man das Denkmal im Machtzentrum der Hauptstadt, dann sollte es nah an die „Topographie des Terrors“ herangerückt werden – wenn schon nicht auf deren Gelände, dann doch in eine klare Verweisbeziehung zu diesem Ort, der die nötigen Informationen und Erklärungen bereitstellen wird. Verweise, ein Gang, ein Pendelverkehr – es gibt viele Mittel, die nötige Verbindung herzustellen, auch zu anderen authentischen Orten wie Sachsenhausen und Ravensbrück. Jedenfalls sollte man nichts errichten, was der bloßen Ästhetisierung des vergangenen Grauens Vorschub leistet und sich mit der Erregung von Betroffenheit zufrieden gibt. Für das Denkmal spricht in der Tat sehr viel. Aber seine akzeptable Form, die klaren Funktionen sind noch nicht gefunden. Das Denkmal muß kleiner, stiller und nachdenklicher sein als die bisher ausgewählten Entwürfe. Es muß wirklich zum Nachdenken führen. Es muß eine Sprache sprechen, die noch nicht gefunden ist. Ob sie gefunden werden kann, ist eine offene Frage. Jürgen Kocka