: Korrupt bis in die Staatsspitze
Rumäniens Staatspräsident bläst zum Kampf gegen Filz und Korruption im Staatsapparat. Viele Beamte sitzen bereits hinter Gittern ■ Aus Cluj Keno Verseck
Jahrelang deckte die unabhängige rumänische Presse vergeblich spektakuläre Fälle von Korruption und organisierter Kriminalität auf. Die Verdächtigen hatten fast nie Strafen zu befürchten. Anklageschriften verschwanden oder versandeten im Justizapparat, Prozesse wurden hinausgezögert. Die im November abgewählte Klientelpartei des ehemaligen Staatspräsidenten Ion Iliescu steckte selbst tief im kriminellen Sumpf und schützte die Größen der rumänischen Unterwelt nach Kräften.
Kaum zwei Monate nach seiner Wahl hat Rumäniens neuer Staatspräsident Emil Constantinescu nun mit einem Wahlversprechen Ernst gemacht: dem Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Mitte Januar berief er einen entsprechenden „Nationalen Rat“ ein, der sich mit dieser Aufgabe befassen soll.
Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Schon wenige Tage nach der Einberufung des Gremiums wurden die beiden berüchtigsten rumänischen Verbrecher verhaftet: der Geschäftsmann Sever Muresan und der Bergarbeiterführer Miron Cozma.
Sever Muresan gilt als der Hauptschuldige am Zusammenbruch der einstmals größten Privatbank Rumäniens, der Dacia- Felix-Bank. Als Aktionär und Aufsichtsratsmitglied hatte er Kredite in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar bekommen, die er nie zurückzahlte. Einen großen Teil der Summe schaffte er mittels eines komplizierten Firmengeflechts ins Ausland. Obwohl dies seit fast zwei Jahren bekannt war und in der Schweiz ein Haftbefehl gegen Muresan vorlag, mußte dieser sich vor der Justiz nicht verantworten. Denn er hatte der ehemaligen Regierungspartei nützliche Dienste erwiesen – ihr zum Beispiel Kontakte zu hochrangigen Geschäftsleuten und Politikern in Westeuropa und den USA vermittelt. Geschädigte von Muresans Transaktionen waren Tausende gewöhnlicher Kontoinhaber.
Nach einem geheimgehaltenen Szenario verlief die Verhaftung des Bergarbeiterführers Miron Cozma in Bukarest. Der zweifellos gefährlichste Verbrecher Rumäniens war sieben Jahre lang Symbol für die mafiosen Zustände, die unter Staatspräsident Iliescu herrschten. Gerufen wahrscheinlich von Iliescu, führte Cozma Tausende Bergarbeiter aus dem Schiltal in Südwestrumänien in den Jahren 1990 und 1991 mehrmals nach Bukarest. Dort prügelten sie regimekritische Demonstranten zusammen, richteten Pogrome unter Roma an und stürzten eine Regierung, die Iliescu nicht genehm war.
Für diese „Hilfe“, bei der 17 Menschen ermordet wurden, bedankte sich Iliescu nicht nur mit einem öffentlichen Lob der „hohen zivilen Disziplin“ der Bergarbeiter. Er entschädigte sie auch mit zahlreichen Privilegien, die sie zur bestbezahltesten Schicht in Rumänien machten. Dabei ist die Kohleförderung im Schiltal unrentabel und kommt Rumänien teurer zu stehen als der Import qualitativ besserer Kohle.
Cozma seinerseits durfte im Schiltal tun und lassen, was er wollte. Er war praktisch der Chef über die Region. Berüchtigte Mafiagrößen Rumäniens fanden bei ihm Unterschlupf. Er bedrohte und verprügelte mit seiner Leibgarde Journalisten, Polizisten, Staatsbeamte und Geschäftsleute, die ihm im Weg standen. Die Behörden schwiegen. Für den Totschlag an einer Mutter von drei Kindern im Zuge eines Autounfalls mußte er eine zweijährige Haftstrafe nie antreten. In anderen Strafsachen erschien Cozma einfach nicht vor Gericht – ohne Konsequenzen.
Es blieb nicht bei diesen beiden propagandistisch wirksamen Verhaftungen. Inzwischen wurden zwei Armeegeneräle in den Ruhestand versetzt und zahlreiche hohe Beamte aus dem Staatsapparat verhaftet, weil sie unter Korruptionsverdacht stehen. Staatspräsident Constantinescu entließ einen seiner Berater, der Ministerpräsident einen Staatssekretär. Beide sollen in schmutzige Geschäfte verwickelt sein.
Diese Fälle sind freilich nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Bereits vor einem Jahr trat der damalige Polizeichef Rumäniens, Ion Pitulescu, zurück, um gegen die Verstrickung des Staats- und Verwaltungsapparats in das organisierte Verbrechen ein Signal zu setzen. Korruptionsaffären und Klientelismus gehören im Bankwesen, in Behörden und in Ministerien zum Alltag, von der Polizei über den Zoll bis zur Justiz. Kürzlich kam ans Tageslicht, daß sämtliche Angestellten des Innenministeriums von der rumänischen Außenhandelsbank zinsgünstige, garantiefreie Kredite in Millionenhöhe erhielten, die sie dann bei derselben Bank zu marktüblichen Zinsen deponieren durften.
Auch Politiker aus den Reihen der neuen Machthaber haben in den vergangenen Jahren mit dunklen Geschäften Schlagzeilen gemacht. Finanzminister Mircea Ciumara zog nach nur einigen Wochen Amtszeit und Untersuchungen in seinem Ministerium ein trauriges Resümee: „Ich verdächtige sogar meine Parteifreunde.“
Nicht nur angesichts dieser Dimensionen ist fraglich, ob die Offensive gegen Korruption und organisiertes Verbrechen gelingen wird. Mittlerweile gibt es analog zu dem vom Staatspräsidenten Constantinescu einberufenen Rat in jedem Verwaltungsbezirk Antikorruptionsgremien. Ihre Mitglieder sind in einigen Fällen genau jene, gegen die sich die Tätigkeit der Räte richten soll. Der Präsident der Antikorruptionskommission im moldauischen Bezirk Bacau zum Beispiel ließ sich mit öffentlichen Geldern eine Luxuswohnung bauen. Im siebenbürgischen Bezirk Cluj ist der ultranationalistische Klausenburger Bürgermeister Gheorghe Funar Mitglied der Kommission. Er hatte 1993 das Pyramidenspiel „Caritas“ protegiert, bei dem mehrere Millionen Rumänen Summen in Milliardenhöhe verloren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen