: Helden, Drachen, Bösewichte
■ Ab morgen täglich auf der Hansawelle: Der Radio-Comic „Sigurd“ / Dazu ein Interview und eine Enthüllungsgeschichte
as Abenteuer beginnt am Aschermittwoch auf der Hansawelle. Ab morgen wird Sigurd, der Comic-Held der 50er Jahre, wieder auferstehen, wird heroenhaft alle Bösewichter und Drachen niederfechten, elfengleiche Schönheiten retten und so weiter. Ein echter Kerl eben. Täglich werden die von Radio-Bremen-Urgestein Christian Günther moderierten Abenteuer über den Sender gehen. Mehr als hundert Folgen sind schon produziert, mehr als 1.000 könnten es werden, so der Produzent, Autor und Sigurd-Fan Uwe Nielsen. Was Nielsen und Sigurd sonst noch verbindet, verriet er der taz.
taz: Wie sind Sie drauf gekommen, einen Comic fürs Radio zu dramatisieren?
Uwe Nielsen: Ich bin drauf gekommen, weil die Radio-Unterhaltungsformen immer kürzer geworden sind. Ich habe mir überlegt, was es denn an Kleinformaten gab – und so bin ich auf die „Piccolo“-Heftchen aus den 50er Jahren gekommen. Dann habe ich verschiedene Geschichten ausprobiert. Sigurd war erstens der Bekannteste von allen, zweitens haben die Rit-tergeschichten besonders gut funktioniert. Das Pferdegetrappel und die Fanfaren kommen akustisch prima rüber. Und drittens habe ich ein riesiges privates Comic-Archiv. So habe ich mir alle über dreihundert Heftchen vorgenommen. Und pro Heftchen sind drei Folgen rausgekommen.
Es ist nicht so, daß Christian Günther Geschichten erzählt?
Nein, nein. Wir haben die Geschichten voll dramatisiert, mit allem was so vorkommen kann: Schlangen, Wölfe, Bösewichte.
Und die sind bestimmt schon durch Ihre Kindheit geschlichen?
Ja, sicher. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die ersten Heftchen herauskamen. Die haben damals 20 Pfennige gekostet. Das war gerade so für das damalige Taschengeld erschwinglich. Da konnte ich pro Woche schon ein oder zwei Heftchen kaufen. Bloß: Es gab bis zu acht Serien pro Woche. Die konnte man sich natürlich nicht leisten. Die anderen Hefte waren sowieso viel zu teuer. Mickey Mouse hat 75 Pfennige gekostet!
Und dann wurde zu Hause alles nachgespielt.
Sigurd nicht, aber dafür „Fulgor, der Weltraumflieger“. Ich stand mehr auf Science-fiction.
Bloß der war nicht so richtig ins Radio zu bringen, oder können wir uns nach Sigurd schon auf Fulgor freuen?
Das ginge schon. Ich habe eine Pilotsendung gemacht, aber in der Diskussion sind wir doch darauf gekommen, daß Sigurd bekannter ist. Bei dem kann man die Identifikation am schnellsten herstellen.
Wieviele Leute waren denn an der Produktion beteiligt?
Wir haben Christian Günther als Erzähler. Dann haben wir Sigurd, seinen Freund Bodo und den jungen Cassim, und dann gibt es immer wieder Bösewichter, männliche wie weibliche. Da haben wir uns Leute aus Bremen und Hamburg zusammengesucht. Mit insgesamt acht Leuten haben wir alle Helden und schlimmen Finger darstellen können.
Richtige Schauspieler, oder haben Sie noch mehr Rollen mit Moderatoren besetzt?
Das sind Schauspieler. Sigurd wird von Pierre Besson gesprochen. Wirklich ein Guter, der am Bremer Theater viele Hauptrollen gespielt hat. Sigurds Freund Bodo ist Sven Lehmann, auch ein Klasse-Schauspieler hier am Theater. Besson und Lehmann sind übrigens im richtigen Leben auch Freunde. Und der kleine Junge Cassim, das ist mein Sohn Fritz.
Haben Sie auch die Bösewichte mit bekannteren Leuten besetzt? Zum Beispiel Radio-Bremen-Intendant Klostermeier als Ungeheuer?
Nee. Wir haben aus dem Funkhaus selbst nur Christian Günther genommen. Die anderen sind Sprecher, die ich zum Teil aus jahrzehntelanger Zusammenarbeit kenne.
Wie lange haben Sie für die hundert Folgen gebraucht?
Wir haben das in vier Wochen hingekriegt. Da war aber auch keine Minute übrig. Fragen: J.G.
Sigurds Abenteuer ab morgen, 12.2., täglich morgens und abends um zehn nach sieben auf der Hansawelle
-i-g-u-r-d, Jesus und Maria, das ist mehr als 30 Jahre her!!!! Damals waren meine Eltern noch nicht geschieden, mein Vater arbeitete sich seinem ersten Herzinfarkt entgegen und meine Mutter hatte den Alkohol noch einigermaßen im Griff. Wir vier Geschwister wurden sonntags im einheitlichen Lodenoutfit durch den angrenzenden Solling – bei schlechtem Wetter durch den Hamelner Bürgerpark geschleift. Unsere Eltern legten Wert darauf, daß unser Spielzeug pädagogisch wertvoll und damit aus Holz sei. Comics fanden deshalb nicht statt. Noch nicht mal als etwas, was verboten wurde. Auch ohne daß meine Eltern es verboten hätten, gab es Dinge, die wir als Kinder nie mit nach Hause gebracht hätten. Dazu gehörten Comics, Wasserpistolen und Spielzeugsoldaten. Wenn ich mich recht erinnere, hat mich das damals eigentlich nicht weiter gestört. Denn für sowas gab es ja einen Kumpel aus der Nachbarschaft. Der war weniger et-pe-tete erzogen. Er hieß Rölfi Kacmirzac, hatte eine Spange im dünnen Haar und trug von seiner Mutter gestrickte kurze Hosen mit dazu passenden Strickhosenträgern (!).
Er sah wirklich richtig scheiße aus. Um deshalb nicht ewig von uns Nachbarjungs gehänselt zu werden, hatte Rölfi eine Strategie entwickelt, die ihn zu einem echten Kumpel werden ließ. Er besaß Schuhkartons voll mit Plastiksoldaten, Panzern, Jeeps und Comics. Und er war bereit, uns damit spielen zu lassen, wenn kein Wort über die Spange und die Strickhosen fallengelassen wurde. Und irgendwie klappte das auch. Oft saßen wir nach der Schule im Hinterhof vor der Garage von Rölfis Vater und spielten im Dreck mit Plastiksoldaten Szenen aus Roelfis Comic-Heftchen nach.
Die Comics flogen als schmale Lappen zwischen all den Panzern und Soldaten in dem Schuhkarton umher. Rölfi sammelte nur Helden-Comics wie Tibor, Sigurd, Tarzan, Falk und so. Sigurd war damals ein ziemlicher Hit. Wohl deshalb, weil er für 20 Pfennig in einer zugeklebten Wundertüte verkauft wurde, die praktischerweise Hosentaschenformat hatte. Ein geniales Verkaufskonzept. Bei den Wundertüten wußte man nie, welches Heft man bekam und ob man es nicht schon hatte. So wurde Sigurd auch heftig als Tauschobjekt gegen Wiking-Autos und Platzpatronen gehandelt. Nie aber gegen Lurchi-Hefte. Das war das einzige Comic-Heftchen, das auch bei uns zu Hause Gnade fand, weil wir es beim Zahnarzt geschenkt bekamen, wenn wir beim Bohren hübsch brav waren. Lurchi war als Drehbuch für unsere Soldatenspiele sowieso nicht geeignet.
Meine Erinnerung an Sigurd ist verknüpft mit Rölfi, den Soldaten und dem Dreck im Hinterhof vor dieser Garage in Hameln. Wir haben dort mit Steinchen, Staub und kleinen Ästen stundenlang Gräben und Burgen gebaut. Wenn Soldaten sprechen mußten, sprachen sie natürlich wie Sigurd: „Nur Mut! Wir haben es gleich geschafft!“ Sigurd war immer gut, um uns beim Spielen in Heldenstimmung zu bringen. Allerdings hielten wir uns nie lange an die Geschichten aus den Heftchen. Die waren wohl doch zu langweilig und eher was für Jungs, die zu Hause nur Weißbrot mit Marmelade bekamen. Das war ein Ausdruck, den wir wirklich ernst meinten! Unser Spiel folgte einer anarchistischeren Dramaturgie als sie Sigurd und Bodo anzubieten hatten. Bei uns kamen Indianer in offenen Matchbox-Ferraris angebrettert und rasten erstmal mit lautem „i-i-i-ieeooooooooorrrrrrrn...“ ei-ne Horde von silbernen Rittern über den Haufen, die alle Prinz Eisenherz hießen und natürlich noch lange nicht tot waren, ey!!!!
Als ich jetzt nach einer Ewigkeit mal wieder einen Sigurd-Comic in der Hand hatte, fiel mir auf, daß Sigurd wirklich scheiße aussieht mit den propper geschnittenen kurzen Haaren und den viel zu langen Wimpern. Und genau deshalb fand wohl Rölfi Sigurd klasse, weil der genauso scheiße aussah wie er selber. Rölfi ist übrigens später Wachtmeister in Hameln geworden.
Til Mette
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