■ Vorschlag
: „Thälmann in Berlin“ von Katharina Gericke im Hackeschen Hof-Theater

„Meine Mütze, du Arsch!“ Der Abend fängt nicht gut an für Teddy Thälmann. Da wollte er nur kurz mit Parteigenossin Guttmann ein Bierchen nehmen und vergißt doch glatt seinen Kopfschutz in der davoneilenden Kutsche. Ohne Mütze, das merkt man gleich, ist er der alte Teddy nicht mehr. Würde, Sicherheit und aufrechter Gang werden vom Verlust des kleinsten Utensils bedroht. Doch sie findet sich wieder, die Mütze. „Thälmann in Berlin oder Schöne Frauen sind nichts für die Sache“ von Katharina Gericke, das letzten Dienstag im Hackeschen Hof-Theater uraufgeführt wurde, ist ein leichtes, wortwitziges Stück, ein 60-Minuten-Drama, das Maike Techen als sanften Denkmalsturz inszeniert hat.

5. Dezember 1920. Thälmann ist nach Berlin gekommen, um an dem Vereinigungsparteitag von USPD und KPD teilzunehmen. 10 Stunden hat man diskutiert, Beschlüsse wurden keine gefaßt, die Verpflegung war sehr mangelhaft. Thälmann ist erschöpft. Am Abend sucht er Entspannung im privaten Austausch von Klassenkampfparolen mit der Berliner Parteigenossin Ketty Guttmann. Doch die Entspannung gefährdet seine Haltung, „die Aura, diese Aura“, vor der der Kellner Schubert zittert. Sie wird im Laufe des Abends schließlich ganz verlorengehen. Der Kellner meint, sie wäre fortgespült vom siebten Bier, doch der Zuschauer weiß: Es liegt nur an Odetta! Odetta singt, und sie singt schön (und wird von Rosa Enskat auch glänzend gespielt). Thälmann versucht zunächst einfach die Lautstärke des Parolenaustauschs mit seiner Genossin zu erhöhen, kräht von Butterpreisen, Einheitsfront und der reinen Weste der Kommunisten, doch je lauter er kräht, bald merkt er es selbst, desto eindringlicher singt Odetta, desto leerer erscheinen seine vorgestanzten Sprachformeln, desto schwankender wird seine Haltung.

Frieder Venus spielt den Thälmann ein wenig blaß und gestelzt, von Anfang an kein charismatischer Führer. Deutlicher wird der Wandel, den der Mythos Thälmann im Verlaufe des Stückes durchmacht am Kellner Schubert, „einer Null“, wie Odetta ihn nennt. Doch hat diese Null ein sehr feines Gespür für Nuancen, für die Achtung, die er einem großen Mann schuldig zu sein glaubt, und die Mißachtung, die ein Mann verdient, der seinen eigenen Mythos verrät. Volkmar Peschold vermag das wunderbar leicht umzusetzen. Und als er, auf Wunsch Thälmanns, Odetta bei „Killing me softly“ auf der Gitarre begleitet, weiß er genau, daß er den großen Teddy damit endgültig derangiert – und sei es nur für diese Nacht. Volker Weidermann

Heute sowie 18. und 25.2., 21 Uhr, Hackesches Hof-Theater, Hackesche Höfe, Rosenthaler Straße, Mitte