■ Pornographie ist wieder im Gespräch. Und ausgerechnet private TV-Sender treiben die festgefahrene Debatte voran
: Wahre Liebe, Liebe Sünde

In ein paar Tagen werden die Berliner Filmfestspiele einen Film über den Pornokönig Larry Flynt präsentieren, in dem dieser und sein Sex-Magazin The Hustler als Vorkämpfer für Meinungsfreiheit und gegen Bigotterie gefeiert werden. Man würde erwarten, daß so ein Film von den Liberalen beifällig durchgewunken wird; das war aber nach dem weihnachtlichen Filmstart in den USA keineswegs der Fall. Nicht nur die Feministin Gloria Steinem hatte Einwände, auch Bürgerrechtsorganisationen waren der Auffassung, der Film mache es sich mit seinem lauten Plädoyer für die Freiheit der Kunst ein bißchen leicht.

Es sieht alles danach aus, als stünde auch bei uns das Thema Pornographie zur Neuverhandlung an. Was lange Zeit wie sexuelle Liberalisierung ausgesehen hatte, entpuppt sich zum Teil als folgenschwere Politisierung: Seit den siebziger Jahren kann von Sexualität nicht mehr reden, wer von Machtausübung schweigen will. Der Hedonismus der 60er, der sich gerade Anfang der 80er anschickte, gänzlich gesellschaftlicher Mainstream zu werden, hatte es schwer, gegen Aids zu bestehen. Nach Belgien und immer neuen Entdeckungen zweifelhaftester kinderpornographischer Darstellungen im Internet kann sich niemand mehr einfach hinstellen und Libertinage ausrufen.

In dieser klammen Lage kommt mobiles Denken ausgerechnet von den Privatsendern, die traditionellerweise für Bastionen der Kleinkariertheit und des Ressentiments gelten. Die 500 Kanäle, die in ein paar Jahren zu bespielen sein werden, saugen gerade die Ideen und ästhetischen Formen an, die den verschiedenen Pornographie- Usern zugute kommen und zugleich „sozialverträglich“ sind. Auf einer Tagung, die der Sender premiere neulich unter dem launigen Titel „Lets talk about sex“ in Hamburg veranstaltet hatte (taz vom 7.2.), zeichnete sich bereits ab, unter welchen Prämissen man jetzt weiterverhandeln kann.

Als erstes, gleich gegen den Veranstaltungstitel gerichtet: Es ist weder wünschenswert noch sinnvoll, jeden Winkel des Themas ausleuchten zu wollen. Foucault hat gewonnen! Frank Herrath, Sexualpädagoge aus Dortmund, hatte sich einige Sendungen des „Erotik- Formats“ angesehen und festgestellt, daß die Protagonisten „Arbeitsgesichter“ trugen und ständig redeten: „Liebkose meine erogenen Zonen.“ Er wisse nicht, so Herrath zu den anwesenden Vertretern des Jugendschutzes, wen das desorientieren solle.

Das Geplapper ist letztlich auch eine Spätfolge der sexuellen Revolution, der Versuch nämlich, den durch sie erzielten Freiheits- (und Gleicheits-)gewinn zu institutionalisieren. Dieser Versuch läßt sich am deutlichsten an unserem Pornographiegesetz ablesen. Anfang der siebziger Jahre wurde das Sexualstrafrecht dahingehend reformiert, daß nicht mehr „Unzucht“ bestraft werden sollte, sondern „sozial schädliches Verhalten“, was umstandslos mit Pornographie übersetzt wurde. Darunter sollte jede Darstellung fallen, in der Sexualität isoliert vom übrigen Lebenskontext dargestellt und die Protagonisten zu anonymen Objekten degradiert oder offensichtlich Abhängigkeiten ausgenutzt wurden. Damit war die Prüderie der fünfziger Jahre, in der Nacktheit ein Skandal war, vertauscht worden gegen die Sozialmoral der siebziger Jahre. Sex als Tabu wurde ersetzt durch Sex als Problem, ein Diskurs, der durch Kinsey-Reporte, Masters und Johnson, Oswald Kolle und Ernest Borneman reichlich Material erhielt.

Damit einen guten Tausch gemacht zu haben war solange Konsens, wie es den erweiterten Markt noch nicht gab. Gerade die feministischen Anti-Porno-Kampagnen lebten solange von der Gegenüberstellung von männlicher, harter, brutaler Pornographie mit weiblicher, weicher, zärtlicher Erotik, wie es noch keine sado-masochistische lesbische Pornographie, keine Filme, die sich an Paare statt nur an Männer richten, und keine Schwulenpornos gab. Äußerst aufschlußreich ist da der Report des amerikanischen Staatsanwaltes Edwin Meese, der 1986 in Zusammenarbeit von Feministinnen, Sozialwissenschaftlern und Vertretern der „Neuen Rechten“ zustande kam. Darin heißt es: „Es ist meine Überzeugung, obwohl dies nicht leicht nachzuweisen ist, daß sich eine kleine, jedoch gefährliche Minderheit in der Folge von Pornographie anmaßen wird, sich gegenüber der nächstbesten Frau aggressiv zu verhalten. Eine Person, die die menschliche Sexualität über die pornographischen Veröffentlichungen Amerikas kennengelernt hat, könnte sich niemals vorstellen, daß ein Mann eine Frau heiraten, ja nicht einmal, daß sie sich verlieben könnten, bevor sie Geschlechtsverkehr haben ... Pornographie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis.“ Hier mischen sich die Diskurse, irgendwie unheilvoll. Welche Folgen das haben kann, konnte man kürzlich in Kanada sehen, wo Andrea Dworkin und Catherine McKinnon vor dem Obersten Gerichtshof eine Entscheidung gegen „gewalttätige und herabsetzende Darstellungen“ durchsetzen konnten, und zwar, indem sie dem Gericht Schwulenpornos gezeigt hatten. Triumphierend kommentierte eine Rechtsprofessorin, man habe den Fall gewonnen, „weil hier die mißhandelten Männer wie Frauen behandelt werden – das haben die Richter verstanden. Anders können sich Männer nicht in unsere Lage versetzen.“

Der Ton in der hiesigen Debatte über die Rolle des Privatfernsehens ist ein deutlich anderer, obwohl auch hier Gegner von Pornographie zur Sprache kommen. Die gerade veröffentlichte Kölner Studie an Jugendlichen und Eltern, denen Sexfilme vorgeführt worden waren, kam zu dem Ergebnis, daß es hohe Zeit für gegenseitige Entlastung ist: Weder braucht man sich Sorgen um die „heutzutage äußerst rollenbewußt und verhütungsvernünftig“ (Matthias Frings) agierenden Jugendlichen zu machen. Sie können offenbar mit Fernsehsex eher etwas anfangen, wenn er sich im Rahmen von Soap-operas ereignet, weil sie das Gesehene als unverbindlich präsentierte Börse von Verhaltensmodellen benutzen. Noch muß man die Eltern, die Pornos schlicht zur unmittelbaren Erregung benutzen, zwingen, ihre „Angst vor der Begegnung mit kindlicher Sexualität“ zu überwinden, wie es ihnen eigentlich ihre eigene Erziehung durch die sexuelle Revolution nahelegt. Wer will schon von seinen Eltern aufgeklärt werden. Oder in der Schule. Das bißchen Aufklärung, das gebraucht wird, bahnt sich seinen Weg fast wie von selbst, ob als „wahre Liebe“ oder als „Liebe Sünde.“ Mariam Niroumand