Lieber einen „walk on the wild side“ riskieren, als sich auf der sicheren Seite zu langweilen

Wir waren Hausbesetzer und haben selbst eine Zeitschrift herausgegeben. Wir haben Politologie und Philosophie studiert und ein Praktikum bei der Ausländerbeauftragten gemacht. Der Reiz von Parteiarbeit hingegen vermochte uns nie recht einzuleuchten  ■ Von Heike Blümner und Tobias Rapp

Wir sind Mitte Zwanzig und Abonnenten von taz und junger Welt, Freitag und konkret, Beute und Mittelweg 36. Wir waren Hausbesetzer und haben selber eine Zeitschrift herausgegeben. Wir haben Politologie und Philosophie studiert und ein Praktikum bei der Ausländerbeauftragten gemacht. Nebenbei haben wir unseren Unterhalt damit verdient, alte Leute zu versorgen und uns um alkoholkranke Sozialhilfeempfänger gekümmert.

Doch statt uns mit Parteisitzungen den Abend zu vermiesen, gehen wir lieber in Techno-Klubs. Statt Flugblätter zu verfassen, legen wir lieber Platten auf. Für die Schülerverteter hatten wir nur Spott übrig, wir haben nie einen Studentenausschuß auch nur von innen gesehen. Wie geht all das zusammen? Warum können uns die politischen Institutionen gestohlen bleiben?

Schülersprecher haben mit Rebellion nix am Hut

Mit den Schülervertretungen fing es an. Schülersprecher waren immer die, die sich mit allen Lehrern gut verstanden und denen Schule Spaß machte. Schülersprecher waren nie diejenigen, die etwas mit Rebellion am Hut hatten, nie diejenigen, die einen Freiraum erkämpften. Auch Spaß an Politik suchte man bei ihnen meist vergeblich.

Wenn wir bei Klassenwanderungen die Mao-Bibel lasen und uns dicke Steine in den Rucksack packten, um erschwerte Guerillakampf-Bedingungen zu simulieren, waren das für unsere Vertreter sinnlose Einzelaktionen. Für sie war wichtiger im siebten Wahlgang den achten Stellvertreter zu wählen. Während sie für Raucherecken stritten, rauchten wir einfach ohne zu fragen.

Sicher, auch die Schülervertretung war irgendwann einmal erkämpft worden, doch das war lange vergessen, jetzt wurde sie nur noch besetzt. Schülersprecher waren immer die, die Freiräume verwalteten, die bereit waren, Kompromisse auszuhandeln – kurz: die Funktionäre.

Genauso ging es an der Uni weiter: Wir erinnern uns nur an eine von der Fachschaftsini organisierte Party zu Semesterbeginn. Eigentlich war es schon schrecklich genug mit Herbert Grönemeyer im Ohr, Seminargesprächen an den Tischen und Ausdruckstänzern im Foyer. Doch als ausgerechnet „Keine Macht für niemand“ lief, tauchte die Polizei auf und verlangte, die Musik solle leiser gemacht werden.

Was die Party-Organisatoren fast widerspruchslos hinnahmen. Darauf angesprochen, wie Ton, Steine, Scherben denn mit dem Befolgen von Polizeianweisungen zusammenpasse, erläuterte der verantwortliche Student, der Asta sei mittlerweile schon genug in der Defensive, jetzt Ärger zu riskieren, hieße die demokratischen Mitspracherechte am Institut gefährden: „Wenn du hier einfach nur studieren willst, kannst du das machen. Mir liegt aber auch die Institutspolitik am Herzen.“

Wenn mit solchen Leuten Institutspolitik gemacht wurde, schlossen wir daraus, wollten wir damit nichts zu tun haben. Wenn die Angst, die letzten Errungenschaften der Vergangenheit könnten einem auch noch genommen werden, mit schlechtem Musikgeschmack einhergeht – dann setzen wir uns lieber in die Caféteria und lesen Zeitung.

Keine Macht für niemand, dann kam die Polizei

Und auch der Reiz von Parteiarbeit mag uns nicht recht einleuchten. Auf der einen Seite sind Positionen, mit denen wir etwas verbinden, wie zur Ausländerpolitik oder die Frage der Legalisierung von Drogen, ohnehin nicht durchsetzbar.

Entweder, weil selbst die Altersgenossen bestimmte Dinge nicht einsehen oder, weil es parteistrategisch Verhandlungsmasse ist und geopfert werden kann, wenn es opportun erscheint. Und auf der anderen Seite können wir die Folgen der Realpolitisierung des Älterwerdens an unserer Elterngeneration beobachten.

Und abgesehen von all dem: Die Gleichaltrigen mit Parteibuch haben nie the style it takes. Genau wie schon die Jungs und Mädchen aus der Schülervertetung und vom Asta, so auch die Parteijugendlichen: Wenn es um Politik geht, fordern sie Bewußtsein, wenn es um Kultur geht, sind sie Teil des übelsten Mainstreams. Jemand, der von uns emanzipatives Engagement fordert, aber die plumpesten Produkte der Kulturindustrie eins- zu-eins konsumiert, können wir nicht so ernst nehmen, wie er sich fühlt.

Was seid ihr denn bloß für eine Generation? wird uns von den Kämpfern vergangener Tage entgegengehalten. Und aus den Talkshows tönen die Jugendbeauftragten jeglicher Couleur: Politikverdrossenheit, ja, Gefahr für die Demokratie! Doch wer wundert sich da, und wer hebt den mahnenden Zeigefinger?

Die Achtundsechziger konnten ihren Protest in eine Phase der Expansion tragen. Ob an den Universitäten, in den Medien oder im Sozialsystem: Die Institutionen, so wie sie jetzt sind, wurden von ihnen geschaffen und verschafften ihnen Ruhm, Ehre und ein gesichertes Auskommen. Der Protest und das Links-sein hat sich für sie gelohnt. Von so einer Position aus läßt sich trefflich klagen.

Und überhaupt, der Kampf für eine bessere Gesellschaft war doch nicht zuletzt von dem Spaß getragen, eine faschistische Elterngeneration in die Tonne zu treten. Den Eltern ihre Rhetorik unter die Nase zu halten und zu sagen: Wo sind denn Freiheit und Demokratie? Oder ist das nur auswendig gelernt?

Albanien-Kommunist zu sein, hatte vor allem die Wirkung des coolen Schockings. Das Bedürfnis, eine demokratische Zivilgesellschaft aufzubauen, war doch wohl weniger wichtig als der Spaß an situationistischer Komik. Und diesen Spaß, den das Erkämpfen von Freiheiten mit sich bringt, suchen wir in den Institutionen, die aus diesen Kämpfen hervorgegangen sind, vergeblich.

Warum sind die Institutionen also in der Krise? Doch nicht, weil sich niemand mehr für sie interessiert. Die etablierten Institutionen für jugendlichen Protest sind weder jugendlich noch rebellisch – deshalb interessiert sich niemand für sie. Ihren Gegenmachtcharakter und ihren radical chic haben sie längst verloren. Sie wurden von einer anderen Generation erkämpft und werden heute nur noch verwaltet. Mit Aufregung hat das alles nichts mehr zu tun. Und komme niemand mit Politikverdrossenheit. Das einzige, was es gibt ist Parteienmüdigkeit und Langeweile vor den etablierten Institutionen.

Also: was wollen wir eigentlich? Wenn wir all das wissen, was schließen wir daraus? Was setzten wir gegen das, was wir nicht wollen? Vor allem wollen wir es uns nicht einfach machen. Anstatt uns auf bestimmte Identitäten festzulegen, wollen wir lieber Verwirrung stiften.

Statt festzuliegen, wollen wir Verwirrung stiften

Wir fühlen uns besser wenn wir uns in Netzwerken bewegen, als wenn wir unsere Widersprüche einer Institutionsräson opfern müssen. Lieber einen walk on the wild side nehmen, als sich auf der sicheren Seite langweilen. Anstatt uns festzulegen, halten wir uns lieber viele Möglichkeiten offen. Wenn wir uns Institutionen schaffen, sind sie nicht auf Dauer angelegt, und deswegen können sie auch nicht altern. Wenn uns ein Klub nicht mehr paßt, machen wir einen anderen auf. Wenn uns die Produktion einer Zeitschrift langweilt, stellen wir sie ein. Auch der Angriffspunkt stellt sich uns anders dar: Wir zielen nicht aufs Ganze. Wenn unsere Strukturen für uns funktionieren, haben wir schon eine Menge gewonnen.

Und es mag sich naiv anhören, doch statt gezwungen zu sein, die eigene Biographie ständig umschreiben und neuen Gegebenheiten anzupassen, versuchen wir lieber, uns von Realpolitik fernzuhalten: Trying to keep shit real!