piwik no script img

Bleisatz im Herzblut

■ 81. Forum Book Art: In den kommenden vier Tagen verwandelt sich das Kreuzberg Museum in einen Marktplatz für Buchliebhaber der ganz speziellen Sorte

Unannehmlichkeiten bei der Lektüre beugt der Bibliophile durch Biegeprobe, Standprobe, Falz- und Reißprobe vor. So steht es in „Bartkowiaks Forum Book Art“, dem Kompendium „zeitgenössischer Handpressendrucke und Künstlerbücher, Mappenwerke und Buchobjekte“, Ausgabe 96/97, der Bibel der Bibliophilen.

Heute wird die 81. „Forum Book Art“-Ausstellung im Kreuzberg Museum eröffnet. Gezeigt werden Arbeiten aus 50 deutschen und internationalen Pressen, Werkstätten und Ateliers. Auch Vorführungen an den Druckmaschinen sowie Graphik-Workshops sind im Programm. An den Pressen agiert eine handverlesene Schar von DruckkünstlerInnen, IdealistInnen zumeist, für die ein Buch ein Gesamtkunstwerk ist aus Text, Papier, Satz, Illustration, Druck und Einband, ein „sinnliches Erleben für das Auge, die Hand, die Seele“ und gar „das Ohr“.

Die Standprobe etwa geht so: „Zwei gleich große Streifen Papier halten wir zwischen Daumen und Zeigefinger nach oben fest. Je nach Laufrichtung wird der eine sich biegen und der andere aufrecht stehen bleiben.“ Papier ist wie Fleisch. Die Faser muß richtig geschnitten werden (immer parallel zum Buchrücken); andernfalls blättert es sich zäh. Das Spezialistentum, hier sind es die bedingungslosen Jünger der Schwarzen, der Druckkunst, treibt schillernde Blüten in Bartkowiaks weltweit einzigartigem Kompendium. Und manche davon sind auf Büttenpapier gedruckt.

Um der Schwarzen Kunst ein Forum zu bieten, haben Wibke und Heinz Stefan Bartkowiak, die seit 1988 im In- und Ausland für das schöne Buch in Einsatz sind, das Familienerbe aufs Spiel gesetzt. Mutter Hedwig hat Haus und Hof verkauft, um den Gewinn in Künstlerbücher zu investieren; mit ihren 86 Jahren sitzt sie immer noch am Computer, um neue Titel zu erfassen. „Wenn das Dach undicht ist, kommen uns schon Bedenken, was wir da eigentlich treiben“, sagt Heinz Stefan Bartkowiak. Doch wenn dann mal wieder, wie neulich geschehen, ein Handpressendrucker anruft und dankbar mitteilt, durch seinen Stand bei „Forum Book Art“ habe er 7.000 Mark verdient, wissen die Bartkowiaks wieder, warum sie tun, was sie tun: „Das motiviert uns ungemein.“ Der mehr als 700 Seiten starke Katalog (Auflage: 1.200 Exemplare; Preis: 120 Mark) macht die Reiß-, Stand-, Falz- und Biegemanipulationen des Connaisseurs nicht mit, er versteht sich – abgesehen von der Vorzugsausgabe mit zehn beigebundenen Druckgrafiken – eher als griffig zu handhabendes Nutzbuch.

Auf deutsch und englisch stellt sich die kleine Welt der Druckwerkstätten vor; Illustrationen in Hülle und Fülle geben einen Überblick über die Fähigkeiten der Schwarzkünstler, Schönes schön zu drucken. Von einer Stippvisite in einer längst zugewucherten Papierfabrik im Ostfriesischen ist die Rede, von einem Besuch im Bodoni-Museum in Parma, von der Ersten Eschatologischen Internationale in Hohenschönhausen – und vor allem von den Umtrieben der Dutzende von Klein- und Kleinstverlegern, die in stark herzbluthaltigen Artikeln die schwere Fahne des Bleisatzes hochhalten. Was die SchwarzkünstlerInnen so im Angebot haben, steht natürlich auch im Katalog, den sie selbst durch Spenden mit finanziert haben.

Zum Beispiel die „verträumt- melancholische Erzählung von der Waschmaschinenprogrammateurin und ungestillter Sehnsucht in acht Sätzen und fünf zweifarbigen Linolschnitt-Illustrationen auf zwölf Blättern, handgesetzt aus der mageren Palatino in 20 Punkt, gedruckt mit der KAS 21 auf Sympathikus-Werkdruckpapier“. Auflage 50, Preis 120 Mark. Ein Schnäppchen, vergleichsweise.

Die Leute, die da in Klosterneuburg, in San Francisco, in Bern, Lodz, Neuseeland oder 79585 Steinen-Schlächtenhaus drucken, lithographieren, radieren oder kalligraphieren, sind am Ende des Katalogs aufgelistet – und zum Teil bei der Ausstellung in Kreuzberg leibhaftig anzutreffen. In der Regel bleiben sie nicht unter sich. Zur letzten Ausstellung in Hamburg kamen über 2.000 BesucherInnen. Für die meisten von ihnen haben Worte wie Fabriano-Roma-Bütten, humanistische Antiqua oder Holzdeckel mit Schellack blutdrucksteigernde Wirkung.

Einen ähnlichen Effekt dürfte folgende Offerte haben, die auf der Berliner Ausstellung gemacht wird: 12 Gedichte von Rainer Maria Rilke mit zehn farbigen Holz- und Linolschnitten mit Motiven aus dem Antikenmuseum Basel, Auflage: 20 Exemplare; Preis 2.800 Mark. Alexander Musik

Eröffnung heute, 18 Uhr, Kreuzberg Museum, Adalbertstr. 95/96, bis 16. 2.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen