München today

■ Die Münchner "Abendzeitung" will ein Boulevardblatt mit Metropolencharakter werden: Dafür sollen ein Relaunch, lange Texte und neue Leute sorgen

Was Jutta Ditfurth einst für die taz war, ist Sabine Csampai momentan für die Münchner Abendzeitung: die Lieferantin eines Krimidebüts, das vor allem deshalb spannend ist, weil die Autorin zu den grünen Politikerinnen der ersten Reihe gehört. Und was Jutta Ditfurth geschafft hat, gelingt auch der ehemaligen dritten Münchner Bürgermeisterin: Ein literarisch dürftiger Krimi in bürokratisch- hölzerner Sprache („Die Feier war in vollem Gange“), mit etwas Sex („Er fühlt ihre Brust, greift sich eine Handvoll Po“) und reichlich Blamage für die Autorin. Arno Luik, vor einem Jahr noch in der taz-Chefredaktion und seit Oktober 1996 stellvertretender Chefredakteur des linksliberalen Boulevardblatts, ist mit dem Vorabdruck von Csampais Roman „Kiesbett“ trotzdem zufrieden: „Wir wollen in München den Gesprächsstoff des Tages liefern und die Themen setzen. Das ist mit dem Krimi gelungen.“ Bei auffälligen Einzelaktionen wie dem Csampai-Krimi oder dem zwölfseitigen Jahresrückblick in Illustriertendimension soll es nicht bleiben. AZ-Chefredakteur Uwe Zimmer und sein Stellvertreter wollen demnächst ein völlig renoviertes Boulevardblatt präsentieren. Mit einem moderneren Layout und einer klaren Gliederung, die die Zeitung leserfreundlicher machen soll. Die Texte sollen entgegen der aktuellen Mode nicht kürzer, sondern ausführlicher werden. Ein Muster für diesen Typ der anspruchsvollen Boulevardzeitung gibt es in der Bundesrepublik nicht (und schon bisher galt die AZ als eine der ambitionierten Kaufzeitungen des Landes). Allenfalls USA today dient als Vorbild für die Veränderungen: Aufwendig gestaltet wie eine Illustrierte, mit Texten, die auch in manche reine Abonnementszeitung passen, und trotzdem mit Schlagzeilen, die sich am Kiosk verkaufen.

Personell hat sich bei der Abendzeitung in den letzten Wochen bereits einiges geändert: Theodor-Wolff-Preisträger Philip Maußhardt, bisher für taz und die Zeit in Stuttgart, arbeitet ab März als Chefreporter in München. In Berlin ist es zudem ein offenes Geheimnis, daß Harald Martenstein vom Tagesspiegel neuer Kulturchef der AZ werden soll. Der bisherige Feuilleton-Leiter Gerd Gliewe soll nach einer Meldung des Branchendienstes Kontakter als Autor für die AZ weiterarbeiten – eine Ablösung, die in der Redaktion einige Unruhe ausgelöst hat.

Stellenstreichungen, wie vom Verlag im vergangenen Jahr geplant, wird es wohl nicht geben. Die würden sich auch kaum mit dem ambitionierten Konzept vertragen; statt dessen sollen sogar vier neue Jobs in der Redaktion geschaffen werden. Das Risiko, das die Verlegerfamilie Friedmann und die Chefredaktion mit dem Umbau eingehen: Einerseits haben Leser, die eine klassische Boulevardzeitung wollen, mit den Konkurrenzblättern Bild und tz in München gleich zwei Alternativen. Andererseits ist es unsicher, ob die reformierte Abendzeitung neue Leserschichten erschließt oder gar Kunden der Süddeutschen Zeitung lockt. Noch in diesem Frühjahr soll der Versuch starten – und ob die Auflage der AZ nach jahrelangem Sinken auf derzeit ca. 195.000 Exemplare danach wieder steigt, dürfte allemal spannender werden als die Krimis von Sabine Csampai und Jutta Ditfurth. Felix Berth/Oliver Gehrs