■ Bei dem Colloquium über das Holocaust-Denkmal werden die Teilnehmer vergeblich altbekanntes wiederholen
: „Experten“-Anhörung als Alibi?

Für den 14.2. und den 11.4. sind das zweite und dritte der Colloquien zum „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ angesetzt. Ob die beim ersten Mal erhobene Forderung vieler geladener Teilnehmer an die Veranstalter, sich auf eine Grundsatzdiskussion einzulassen, dabei Gehör findet, wird sich zeigen. Denn darin waren sich die Kritiker einig: Wenn nicht die vorgegebenen Standort-, Finanz- und Größenprämissen aufgehoben werden und über die Aufgabe und das Profil eines solchen Denkmals neu und vor allem präzise nachgedacht wird, ist ein Ausweg aus dem Dilemma nicht in Sicht. Der Versuch der Initiatoren, den sogenannten „Grabplatten- Entwurf“ politisch durchzupowern, ist gescheitert. Auch die anderen ausgewählten wie auch die Gesamtschau der in großen Mahnmals-Architekturen schwelgenden Beiträge hatten alle Fachleute eher erschreckt als motiviert. Doch über ein neues Verfahren sollen die 70 „Experten“ nicht reden dürfen und schon gar nicht die Grundsatzentscheidung für das Denkmal in Frage stellen.

Zum Glück zeigten sich viele von ihnen schon bei der ersten Tagung unbotmäßig. Sie dachten laut nach über die Implikationen, die sich angeblich naturwüchsig aus dem Anspruch ergeben, das „zentrale deutsche Denkmal“ zu errichten, vor allem über die fatale Idee der Großdimensionierung, die das Projekt von Anfang an bestimmt hat. Allerdings ist die Kritik an diesem Ansatz nicht neu: Sie kam seit 1988 in ungezählten, wenn auch wirkungslos gebliebenen Stellungnahmen und Artikeln zum Ausdruck. Um so mehr verblüfft die Aussage des Berliner Kultursenators Peter Radunski, die kritischen Argumente gegen Monumentalität und die Forderungen „kleiner, stiller, bescheidener“, die das erste Colloquium prägten, seien „Stichworte, die vorher nicht da waren“ (FAZ, 18.1.).

Dabei wird um so deutlicher, wie wenig sich die drei Auslober des Wettbewerbs – Bund, Land und Förderkreis – bisher um die seit Jahren geführte Gedenkstätten- und Denkmalsdiskussion gekümmert haben. Alle wesentlichen Einwände der verschiedenen Colloqiums-„Experten“ waren zuvor längst gefallen. Das Neue ist nur, daß die Denkmalsinitiatoren diesmal gewissermaßen gezwungen sind, sie zumindest anzuhören, wenn sie weiterhin mit öffentlichen Geldern für die Realisierung rechnen wollten. Hier eine tabufreie Dialogebene zu erreichen, ist die einzige Chance, das Projekt wieder in Bewegung zu bringen.

Denn wie kann man beanspruchen, das größte und wichtigste, das „nationale“ Denkmal zu bauen, gleichsam die Krönung der deutschen Gedenkkultur, ohne sich um die vielfältigen Kooperationen und Wechselwirkungen zu kümmern, um das lebendige, hierarchiefreie Netzwerk der Erinnerungsarbeit, das längst besteht? Keine der Gedenkstätten und Initiativen mit ihren jeweils unterschiedlichen, sich ergänzenden Schwerpunkten käme auf die Idee, sich selbst als die zentrale, die ultimative darzustellen. Und wer würde darüber urteilen wollen, welches der vielen unterschiedlichen Denkmäler und Installationen mit ihren jeweiligen historischen Hintergründen und ihren besonderen Aussagen als das bedeutendste gelten soll?

Die Idee, daß das gigantische Ausmaß der NS-Verbrechen eine ebenso alle Maßstäbe überschreitende Mahnmals-Anlage erfordere, widerspricht allen Erfahrungen der aktuellen Gedenkstättenpädagogik. Vordergründige Symbolismen, weihevolle Stimmungen, staatsoffizielle Akte erweisen sich als kontraproduktiv für die inhaltliche Hinwendung zum Thema. Glaubwürdig sind für die Jüngeren, die den NS-Terror nicht selbst erlebt haben, vor allem Information, kritische Auseinandersetzung, „forschendes Lernen“. Bildende Kunst, wenn sie ästhetischen Kriterien und intellektuellen Ansprüchen standhält, kann dabei eine Rolle spielen.

Alle diese Erkenntnisse sind nicht neu. Daß es notwendig schien, sie zum hundertsten Male darzulegen, als ob man die Gedenk-Welt neu erfinden müßte, hat zweifellos zur bleiernen Stimmung auf dem Colloquium im Januar beigetragen. Doch wie kann es anders gelingen, das Zwangskorsett aufzubrechen, das die Initiatoren um ihr Projekt gelegt haben? Bund und Land haben mit einem riesigen Flächenangebot und der Festlegung eines auf die längst verworfene unterirdische Denkmalsanlage von Harald Szeemann bezogenen Finanzvolumens (15 Millionen, zuwenig für eine Gedenkstätte und zuviel für ein Denkmal!) den Monumentalitätsansatz verfestigt.

Daß auch besonders interessante Künstler im Wettbewerb enttäuschten, wurde genau durch diese Vorgaben provoziert. Und durch den Standort! Um das einzig nationale Mahnmal zu bauen, hatten die Initiatoren zwei historisch einzigartige „authentische“ Standorte gewählt – zuerst das Gestapo- Gelände (von dem sie sich nicht aus besserer Erkenntnis zurückzogen, wie sie behaupten, sondern aufgrund der massiven politischen Ablehnung ihres Anliegens von allen Seiten) und danach, auf dem ehemaligen Todesstreifen der Grenzmauer, den Bereich der ehemaligen Reichskanzlei. Die in der Fixierung auf die Reichskanzlei- Trümmer zum Ausdruck kommenden Ideen von Grab und Auferstehung, von Kampf und Sieg, von der dämonischen Rolle Hitlers und von Ruinenmythos sind seit Jahren ebenso vergeblich kritisiert worden wie die thematische Einbeziehung der deutschen Teilung und Wiedervereinigung – von eindeutig nationalen Motiven also – in die inhaltliche Definition des Denkmalsprojektes. Authentizität, verbunden mit der Hoffnung auf auratische Wirkung des zukünftigen Denkmals, wurde hierbei offensichtlich als Kalkül eingesetzt. Doch das ging nicht auf: Gerade der Konflikt um den Standort schärfte das öffentliche Bewußtsein für die Problematik der verfallenden authentischen KZ-Relikte in den Gedenkstätten rund um Berlin, für deren Konservierung angeblich nicht genügend Geld vorhanden ist. Die Colloquien sind nicht, wie Ignatz Bubis meinte, ein Entgegenkommen der Auslober an die Öffentlichkeit. Sie bieten die einzige Chance, die als sakrosankt ausgegebenen Prämissen zu revidieren. Zwischenzeitlich versuche sich der Kultursenator mit der Quadratur des Kreises. „Etwas komplett Neues“ könne er sich vorstellen, aber nur, wenn es aus der Überarbeitung der neun erstprämierten Entwürfe entstünde und wenn es beim alten Standort bliebe. Ob die „Experten“ weiterhin zu solcher Alibifunktion bereit sind, wird sich zeigen. Stefanie Endlich