Fishing for identity

■ Man wirft mit frischen Steaks (im Amifilm!): „Slaves to the Underground“ von Kristine Peterson im Panorama

Die höhere Geschlechterkunde ist extrem kompliziert. Homo, bi oder hetero, alles Auslegungssache, meint zumindest Wieland Speck als Panorama-Organisator über das diesjährige Schwerpunktthema „Mädchen (und Jungen)“. Deshalb müssen die zum Sexbaukasten der 90er Jahre gehörigen Beziehungen auch ständig neu geordnet werden: In Kristine Petersons „Slaves to the Underground“ wacht Shelly neben ihrer lesbischen Bandkollegin Suzy auf und denkt beim Sex noch immer gerne an ihren verflossenen Liebhaber Jimmy. Verlassen hat sie ihn allerdings wegen Dale, weil er Shelly mit Gewalt rumgekriegt hat.

Das Reizthema vom sexuellen Mißbrauch geht in Petersons Riot- Girl-Story relativ schnell mit ein paar festen Tritten und einem gebrochenen Nasenbein über die Bühne. Denn dies ist schließlich Seattle, und dort spielt sich das Leben eher wie in einem Nirvana- oder Hole-Song ab, jedenfalls sehr direkt und mit vielerlei Brüchen.

Alles passiert zwar nur aus Liebe, aber die driftet ebenso rasch ab wie die hübschen Lieder, mit denen der Film das verwirrende Spektrum jugendlicher Begierden abdeckt. Mal sieht man Frauen Frauen lieben, dann wieder hängen Jimmy bei lustigen Stellungsspielen die Wollsocken seiner Exfreundin im Gesicht; zuletzt muß er für Shelly aus dem Stegreif masturbieren. Auch wird für einen engagierten Amifilm unmäßig viel geraucht und mit frischen Steaks geworfen. Das ist weit mehr an Freizügigkeit im täglichen Partnertausch, als die abgezählten Subplots im Panorama-Programm vom letzten Jahr zu bieten hatten.

Dabei hat Petersons Film sich nicht mal an irgendeiner Zielgruppe orientiert. Eigentlich erzählt „Slaves to the Underground“ die übliche Grunge-Geschichte: Ein paar pausbackige Jungs verkaufen ihre schmuddeligen Comic- Fanzines, eine Mädchengruppe will mit feministischem Trashrock in die Charts. Nebenher entwickelt sich eine Liebesgeschichte, in der die Gefühle alle paar Minuten durcheinandergeraten: Sängerin Suzy träumt von keltischen Göttinnen und möchte doch bloß für die Frauenbewegung kämpfen; Jimmy trauert seiner Idee vom Indie-Mythos nach und läßt sich trotzdem auf einen Job bei Microsoft ein. Und Shelly will einfach nur Songs schreiben wie Ann Di Franco.

Daß die offenbar an Judith Butler wie Peter Bagges Comic-Heftchen geschulte Filmemacherin all diese kleinen Gesinnungen nebeneinander bestehen läßt, macht „Slaves to the Underground“ zu einer absolut unverdrossenen Studie über jene Generation X, von der niemand weiß, wer sie verkörpert. Fishing for identity – vor allem mußte es schnell gehen, 18 Tage hat Peterson gedreht. Manchmal müssen die jungen Leute über ihre schnellschußartigen Lebensentwürfe lachen, manchmal lacht man dann mit. Harald Fricke

„Slaves to the Underground“. Regie: Kristine Peterson. Mit: Molly Gross, Marisa Ryan, Jason Bortz u.a. USA 1996. 93 Minuten.

Heute, 21 Uhr im Filmpalast