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Wohin mit den Studenten?

Die Universitäten sind überlastet – die Fachhochschulen hoffen auf Zuwachs durch die Verlagerung von geisteswissenschaftlichen Studiengängen  ■ Von Lennart Paul

Das Bild deutscher Hochschulabsolventen ist fertig gemalt. Politiker und Arbeitgeber haben in den vergangenen Wochen nur noch mal ein paar schwarze Flecken aufgefrischt. Sie brachten die langen Studienzeiten wieder ins Gedächtnis und erinnerten daran, daß die Universitäten massenweise Wissenschaftler in die sichere Arbeitslosigkeit schicken. Vor allem aber sei das Studium zu praxisfern: Wer von der Hochschule komme, müsse im Berufsleben beinahe bei Null anfangen.

Den Universitäten sollen daher umstrukturiert werden. Doch kaum ein Politiker glaubt, daß sie zu schnellen Reformen fähig sind. Da scheint sich eine andere Institution geradezu aufzudrängen: die Fachhochschule (FH). An ihr wird kürzer studiert, die Studierenden absolvieren hier Praxissemester, und die Diplomarbeiten werden häufig in enger Zusammenarbeit mit Firmen verfaßt.

Die Zukunft der Fachhochschulen sieht zur Zeit nicht schlecht aus: In der Hochschuldiskussion ist immer wieder von einer „Kapazitätsverlagerung“ die Rede: Fachhochschulen sollen sich neue Studienfächer gerade auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften erschließen. Überall tun sich plötzlich Bereiche auf, die sich für das praxisnahe und forschungsferne Studium an den Fachhochschulen anzubieten scheinen. Bildungsminister Jürgen Rüttgers forderte die Universitäten heraus, als er vorschlug, die Ausbildung von Berufs- und Grundschullehrern an die Fachhochschulen zu verlagern.

Die Fachhochschulen scheinen auf diesen Profilwandel angewiesen zu sein. „Allgemein nimmt das Interesse an technischen Studiengängen ab“, sagt Heinz Griesbach, Abteilungsleiter beim Hochschulinformations-System (HIS) in Hannover. Für die Fachhochschulen eine Existenzfrage – denn Ingenieure machen 40 Prozent der Studierenden aus. Allerdings wird der Rückgang durch die starke Zunahme in den Wirtschaftswissenschaften fast ausgeglichen. Aber da auch die Zahl der Fachoberschüler zurückgehe, seien die FHs darauf angewiesen, möglichst viele Abiturienten für sich zu gewinnen, so Grießbach. Inzwischen hat jeder zweite Studienanfänger einer Fachhochschule ein Abitur gemacht. Damit jagen die Fachhochschulen mehr und mehr auf angestammtem Gebiet der Universitäten. Und die Konkurrenz zwischen Unis und FHs nimmt zu – denn seit Anfang der neunziger Jahre gibt es weniger Abiturienten.

Karl Lewin vom HIS hat Studienanfänger befragt: „17 Prozent aller Erstsemester mit Abitur haben sich im Wintersemester 1995/96 für eine Fachhochschule entschieden“, sagt er. Gründe für die Beliebtheit der Fachhochschulen: Relativ übersichtliche Hochschulen, kürzere Studienzeiten. Außerdem sind einige Abiturienten an ihren Heimatort gebunden. Sie gehen auf die Fachhochschule, wenn die nächste Universität zu weit entfernt ist.

Bei den Absolventenbefragungen verglich Karl-Heinz Minks Ingenieure von Universitäten und Fachhochschulen: „Oberflächlich betrachtet haben Ingenieure mit Universitätsabschluß bessere Karten“, sagt er. Der zweite Blick zeige aber ein ausgeglicheneres Bild: „Fachhochschüler haben höhere Arbeitslosenzahlen, weil Universitätsstudenten der Arbeitslosenstatistik entgehen können, indem sie promovieren.“ Ein Unterschied existiere aber nach wie vor: Fachhochschulabsolventen verdienen deutlich weniger, bis fünf Jahre nach dem Examen im Schnitt rund 500 Mark brutto im Monat.

Auch auf Regierungsebene läuft die Diskussion zur Zeit für die Fachhochschulen. Immer noch steht auch die Zahl der Bund-Länder-Kommission aus dem sogenannten Eckwertepapier von 1993 im Raum: Dort wurde gefordert, 40 Prozent aller Studienanfänger künftig an Fachhochschulen zu schicken. Eine hohe Zahl, mit der sich die Universitätsrektoren nicht abfinden können. Sie sehen die Einheit von Forschung und Lehre gefährdet. Und sie weisen darauf hin, daß es bei diesem Gedankenspiel wohl weniger um die Berufsaussichten der Studierenden als um simple Kostenfragen gehe.

Aber auch die Hochschulorganisationen denken über Reformen im Verhältnis von Universitäten und Fachhochschulen nach. Der Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz in Bonn, Josef Lange, spricht die Wirtschaftsjuristen an, die inzwischen schon an mehreren Fachhochschulen ausgebildet werden: „Die juristischen Fakultäten haben eines erkannt: Es werden Leute gebraucht, die Rechts- und Wirtschaftskenntnisse haben, aber nicht Anwalt oder Richter werden.“ In erster Linie arbeiten diese Wirtschaftsjuristen nach ihrem Studium in Unternehmen. Auch über die Ausbildung von Dolmetschern und Apothekern an Fachhochschulen wird nachgedacht. Über ein mögliches Lehrerstudium an Fachhochschulen will Josef Lange nichts sagen: „Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, in der überlegt wird, wie die Lehrerausbildung in Deutschland organisiert werden sollte.“

Hubert Mücke, Geschäftsführer des Hochschullehrerbundes, der die Fachhochschulen vertritt, geht deutlich weiter und schlägt für die Ausbildung von Grundschul- und Berufsschullehrern eine Aufteilung vor: „Wir können das Fachstudium an die Fachhochschulen verlagern und das erziehungswissenschaftliche Begleitstudium an den Universitäten belassen.“ Auch er setzt auf den Ausbau der juristischen Fachbereiche: „Die Wirtschaftsjuristen in Unternehmen machen ein Fünftel des gesamten Bedarfs aus.“ Die Fachhochschulen bezeichnet er als „Scharnier der Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis“. Dieses Bindeglied scheint ihm auch passend für die Journalistenausbildung. „Fachhochschulen wären ideal für Wissenschaftsjournalisten.“

Die Universitäten geraten durch diese Vorschläge unter Druck, ihr Studium praktischer auszurichten – mit der Gefahr, daß die Grundlagenforschung auf der Strecke bleibt. Universitäten und Fachhochschulen könnten sich auch allzu stark annähern, wodurch jeweils typische Profil verlorengehen würde. Hubert Mücke sieht die Gefahr, daß die Universitäten das Modell der Fachhochschulen kopieren. Josef Lange glaubt nicht daran: „Der Praxisbezug wird zwar an den Universitäten größer werden, und die Forschung wird sich stärker auf die Lösung praktischer Probleme konzentrieren. Aber an den Fachhochschulen wird es Grundlagenforschung auch in Zukunft nicht geben. Das ist von den Kosten her gar nicht machbar.“

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