Neue kubanische Gaumenfreuden

Vor allem in Havanna gibt es immer mehr private Restaurants. Noch stehen sie in keinem Reiseführer  ■ Von Reinhard Aehnelt

Mercedes hat ihr Wohnzimmer zum Restaurant gemacht. Es heißt jetzt „Las delicias del Consulado“, also „die Wonnen des Konsulats“, aber weder ist sie eine Frau Konsul, noch hat sie jemals in einer diplomatischen Vertretung gearbeitet. Die Straße heißt halt Consulado und liegt mitten im älteren Teil von Havanna. Hier laufen viele Touristen herum, tagsüber kommen die Leute zum Einkaufen in die Gegend, und es gibt auch noch eine Reihe Arbeitsplätze in der Nähe. Der ideale Ort also für ein Restaurant.

Trotzdem haben Mercedes und ihr Mann Jorge länger gezögert als andere, ihre Jobs als Kindergärtnerin und Lagerverwalter aufzugeben. Sie eröffneten das Restaurant erst im September 1995, da hatten andere schon zwei bewegte Jahre hinter sich. Denn zum erstenmal seit der kubanischen Revolution war im September 1993 per Gesetz die Arbeit auf eigene Rechnung erlaubt worden. Unter den legalisierten Berufen war auch der Koch aufgetaucht. Niemand jedoch hatte gewußt, in welchem Rahmen ein Koch, wie es im Amtsspanisch hieß, „Speisen zubereiten“ durfte. Trotzdem waren schon wenige Wochen später die unterschiedlichsten Etablissements zu Restaurants umfunktioniert worden: In leergeräumten Lagerhallen, ungenutzten Ladenlokalen, überzähligen Wohnzimmern, in Vorgärten, auf Terrassen, überall blühte die Idee vom „Paladar“, vom Gaumen. Dieser Begriff hatte die Nation elektrisiert, seit sie mehrere Monate lang das Leben einer armen brasilianischen Familie mitgelebt und durchlitten hatte, die sich am Ende einer tränenrührenden Telenovela zu Besitzern einer gutgehenden Restaurantkette gemausert hatte. Und die hatte sie „Paladar“ getauft.

Seitdem träumten die Kubaner davon, auf diese Art auch ihr Glück machen zu können, und die Erfüllung des Traums schien durch das Gesetz von 1993 in greifbare Nähe gerückt. Doch schon drei Monate später war er erst einmal wieder ausgeträumt. Die Bürokratie beschied, daß der Betrieb von Restaurants nicht zu den Arbeiten auf eigene Rechnung gehörte. Die improvisierten Lokale mußten wieder geschlossen werden.

Doch die Kubaner, flexibel und findig, interpretierten das Verbot auf eigene Weise: Sie verkauften die Speisen auf der Straße oder reichten sie in Pappkartons an die Kunden weiter. Die setzten sich dann halt dorthin, wo es gerade ging. Die Massenflucht von 1994 tat dann ihr übriges, die Bürokratie zu Konzessionen zu bewegen. Allerdings dauerte es noch bis Mitte 1995, daß die Eröffnung von Paladares offiziell gestattet wurde.

Castro bewies dabei einmal mehr Bibelfestigkeit und beschied als maximal zulässige Größe eines Etablissements zwölf Sitzplätze. Aber er blieb auch seinen Prinzipien treu, denn außer Familienangehörigen darf in einem Paladar niemand beschäftigt werden. Da Kubaner es mit Zahlen allerdings nie so genau nehmen, werden die zwölf Stühle inzwischen durch zahlreiche Ersatz- oder Nebenstühle ergänzt, und die Betreiberfamilien verästeln sich zu unübersichtlichen sozialen Gebilden.

Mit der Legalisierung schossen die Paladares wie die Pilze aus dem Boden. Kein Fleck schien gänzlich ungeeignet, ein Restaurant zu eröffnen. Selbst im zwölften Stock eines Wohnhochhauses wurde die Küche zum Restaurant umfunktioniert, und die Bewohner hielten ihre Angebote auf handgemalten Speisekarten fest. Mercedes und ihr Mann brachen beherzt die Fassade des mehrstöckigen Wohnhauses auf, in dem sie seit sechs Jahren lebten, ließen herunterklappbare Gitter anstelle der Wände anbringen, bauten eine Küche und besorgten sich über Beziehungen sogar ein beleuchtetes Reklameschild für die Straße. Alles ohne Genehmigung irgendeiner Behörde, da klage jemand über Bürokratie.

Mercedes und Jorge klagen aber trotzdem. Ihr Restauarnt gehört zu der Kategorie der Paladares, in denen nur Peso kassiert werden dürfen. Dafür müssen sie auch die Steuern nur in der Landeswährung entrichten: 1.000 Peso sind es pro Monat zuzüglich 200 Peso für die Beschäftigten. Mit einer Dollarlizenz wären es monatlich 400 Dollar mehr, egal wieviel Umsatz sie mit der begehrten Währung erzielen. Und während die Fleisch, Obst und Gemüse auf den umliegenden Bauernmärkten gegen Peso kaufen können, gibt es die Getränke nur gegen Dollar im staatlichen Shop.

Mercedes beklagt sich, daß sie auf diese Weise doppelt Steuern zahlen muß. Das Bier und andere Getränke kosten sie 85 Cents. An diesem stolzen Preis verdient der Staat schon kräftig mit, und wenn sie die Sachen für umgerechnet einen Dollar weiterverkauft, hat sie kaum etwas verdient und muß für alles noch einmal Steuern bezahlen. Einen Großhandel gibt es nicht. Das finden alle Betreiber von Paladares ungerecht, und so träumen sie von Vorsteuerabzugsfähigkeit, Abschreibungsmöglichkeiten und Investitionszulagen.

Nichts davon gibt es auf Kuba, schließlich wollte man dort im Schwung der Wirtschaftspolitik des Ministers Ché Guevara in den sechziger Jahren nicht nur die Steuern, sondern auch das Geld abschaffen. Das wäre fast gelungen, und nun ist man unter Mühen wieder dabei, ein Steuersystem aufzubauen, und die Preisbildung orientiert sich am Trial-and-error- Prinzip. Nur zu gern würden die Restaurantbetreiber eine Vereinigung bilden, um ihre Interessen gemeinsam durchzusetzen. Die real existierenden Organisationen bilden hierfür kein Forum. Doch private Vereinigungen sind in Kuba verboten, und als Keimzelle kleinbürgerlichen Bewußtseins ist die Arbeit auf eigene Rechnung den Hardlinern ein Dorn im Auge. So befürchtet auch Mercedes immer wieder das Schlimmste, wenn eine der obligatorischen Inspektionen ins Haus steht. Monatlich kommt jemand vom Gesundheitsamt, wöchentlich schickt die Finanzbehörde ihre Leute. Wenn man sie dabei erwischt, Dollar zu kassieren, ist es mit der Lizenz vorbei. Aber auch sonst muß man sich Mühe geben, die Inspektoren bei Laune zu halten. Und auch vor plötzlichen Änderungen von Verordnungen oder Gesetzen kann man nie sicher sein. Dabei funktioniert der private Sektor inzwischen wieder erstaunlich gut, die Paladares dürften allein in Havanna mehrere tausend Arbeitsplätze sichern.

Vor allem bereichern sie das gastronomische Angebot der Stadt: Es gibt neben exquisiter kreolischer auch italienische, französische und chinesische Küche. Einige Paladares wie das „Versalles“ und „Doña Eutimia“ glänzen zusätzlich durch stilvolle Einrichtung, andere, etwa der „Prado“ und das „Bistro“, bieten an der Uferpromenade romantische Blicke aufs Meer, und wieder andere haben ein ganz besonderes Ambiente anzubieten: So kann man im „La Guardia“ in den Räumen speisen, in denen der Film „Fresa y chocolate“ gedreht wurde. Und das „Amor“ entpuppt sich als das Luxusappartement, das als Kulisse für „Un hombre de exito“ gedient hat. Im „Las Mercedes“ führt eine Brücke über einen beleuchteten künstlichen Teich mit echten Schildkröten darin, und um die Ecke wimmelt es im „La Kakatua“ von Papageien und anderen bunten Vögeln.

Noch stehen die privaten Restaurants in keinem Reiseführer, und auch in den Hotels wird man vergeblich nach ihnen fragen. Werbung dürfen sie nicht betreiben, und es ist noch nicht entschieden, ob ihre Zukunft gesichert ist. Ich habe versucht, Mercedes Mut zu machen, und ihr gesagt, daß ich einen Artikel über sie in der Berliner Tageszeitung schreiben werde. Da sie deren Auflage nicht kennt, war sie darüber sehr froh.