Neonazis wollen Bordellvilla kaufen

Früher stieg Hitlers Stellvertreter Heß dort ab. Heute soll dessen Name den Immobilienpreis in die Höhe treiben. Potente Käufer aus der rechten Szene interessieren sich für das Haus  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Eine seit zwei Jahrzehnten dem Verfall preisgegebene Villa im Fichtelgebirge steht zum Verkauf. Nichts Ungewöhnliches, wenn das Herrschaftshaus mit seinen 22 Zimmern nicht dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß gehört hätte. So nimmt die Kriminalpolizei die Kaufinteressenten unter die Lupe. „Es besteht die Gefahr, daß hier ein neuer Wallfahrtsort für Ewiggestrige entsteht“, befürchtet Raimund Brendel, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken in Bayreuth.

Mit ungutem Gefühl beobachtet Brendel, daß Bartholomäus Schmidt vom Nürnberger Immobilien-Kontor Alt & Kelber die Villa in Reicholdsgründ, einem kleinen Dorf bei Wunsiedel, gezielt in der rechten Szene bewirbt. Mit Anzeigen in der Deutschen National-Zeitung, herausgegeben vom millionenschweren Chef der Deutschen Volksunion (DVU) Gerhard Frey, sollen Käufer angesprochen werden, die den Symbolwert des Hauses honorieren. Der Polizei sind die Hände gebunden. „Das muß der Makler mit seinem Gewissen ausmachen“, erklärt Brendel lapidar.

Makler Schmidt sieht kein Problem: „Wir wollen den ideologischen Wert mitverkaufen.“ So hofft er, für die auf 300.000 Mark geschätzte Villa etwa das Doppelte herausschlagen zu können. Bis 1971 bewohnten Verwandte von Heß das Haus, dann verkauften sie es. Die neuen Besitzer betrieben zunächst ein Bordell, danach stand die Villa leer. Vom einstigen Glanz des mit exotischen Fliesen und edlen Tropenhölzern ausgestatteten Hauses ist nichts mehr geblieben. Um den Kaufanreiz zu erhöhen, schürt der Immobilienmakler Spekulationen, wonach in der Villa eine Geheimkammer sein soll.

„Die Amerikaner haben kurz nach Kriegsende das Haus von oben bis unten mit größter Sorgfalt durchsucht und weder eine Geheimkammer noch ein Vermächtnis von Heß gefunden“, wehrt Reinhard Weiß als zuständiger Bürgermeister ab. Er kritisiert die „cleveren Versuche des Maklers, den Preis der Villa nach oben zu treiben“ und will das Haus auch nicht „Rudolf-Heß-Villa“ nennen. Heß habe es doch lediglich als Ferienwohnung oder als Absteige während der Reichsparteitage in Nürnberg genutzt.

Makler Schmidt ist das egal: „Wer am meisten zahlt, bekommt das Haus.“ Bis Mai will er es verkauft haben, und Interessenten gäbe es genug. „Nach derzeitigem Erkenntnisstand sind auch Mitglieder der rechten Szene darunter“, weiß Polizeisprecher Brendel. Er hofft, daß „wir hier in Oberfranken mit der Villa nicht ein neues Problem aufgehalst bekommen“.

Seit seinem Selbstmord am 17. August 1987 im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis hält Rudolf Heß nicht nur die örtlichen Sicherheitsbehörden auf Trab. Alljährlich marschieren Mitte August zum Gedenken an den „Märtyrer für den Frieden“ Neonazis aus dem In- und Ausland auf. Fast das gesamte Spektrum der rechtsextremen Szene versammelte sich zunächst in Wunsiedel. Als die Behörden zum jeweiligen Heß-Todestag ein Demonstrationsverbot für den gesamten Landkreis verhängten, wichen die bis zu 2.000 Neonazis zuerst nach Bayreuth, 1992 ins thüringische Rudolstadt, 1993 nach Fulda und dann ins grenznahe Ausland aus.

Eine neue Wallfahrtsstätte oder gar ein rechtes Schulungszentrum in Oberfranken, wo sich sowieso schon Führungskader der rechten Szene tummeln und mit der Zeitschrift Nation + Europa das auflagenstärkste deutsche rechtsextreme Periodikum zu Hause ist, paßt der Polizei, dem Landratsamt und auch Bürgermeister Weiß nichts ins Konzept. Sie hoffen nun, daß der Staat das historisch belastete Anwesen kauft.