„Höchste Zeit für einen Wechsel“

■ Hermann Scheer, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des SPD-Umweltforums, verlangt die Förderung der Solartechnologie

taz: Herr Scheer, Sie haben Ihre Partei aufgefordert, jetzt endlich eine energiepolitische Wende einzuleiten. Welche Rolle sehen Sie dabei für die mit rund zehn Milliarden Mark am Leben gehaltene deutsche Steinkohle vor?

Hermann Scheer: Ich plädiere dafür, zwischen der hochsubentionierten Bestandssicherung und den Kahlschlagambitionen von FDP, CSU und Teilen der CDU einen dritten Weg einzuschlagen, der nicht zu Lasten der Arbeitsplätze der Bergleute geht. Die Zeit für eine neue Energiepolitik jenseits des Stellungskrieges zwischen dem von den Regierungsparteien unterstützten „Atomlager“ und dem von der SPD gestützten „Kohlelager“ ist doch überreif. Wir brauchen den energiestrategischen Wechsel.

Was haben die noch knapp 90.000 Bergleute, die um ihre Existenz bangen, davon?

Den Bergbauunternehmen muß künftig erlaubt sein, mit einem wachsenden Anteil der Finanzhilfen, die wir heute für direkte Kohlehilfen geben, selbst in neue, zukunftsträchtige Energieträger zu investieren.

Die Ruhrkohle AG als Solaranlagenproduzent.

Ja, warum nicht. Das Unternehmen muß in die Lage versetzt werden, mit den Beihilfen unmittelbar neue Beschäftigungsfelder für die hochqualifizierten Bergleute zu erschließen.

Wo könnten die liegen?

Natürlich spielt die Photovoltaik eine große Rolle, deren industrielle Produktion in Deutschland sträflich vernachlässigt wurde. Die Bundesregierung stellt 18 Millionen Mark als Markteinführungshilfen für erneuerbare Energien zur Verfügung. Gleichzeitig wird für die Marktstützung heimischer Steinkohle das mehr als 400fache ausgegeben. Wenn hier Mittel umgewidmet würden, ergäben sich für erneuerbare Technologien – auch das ist heimische Energie – riesige Chancen. Ein weiterer Bereich für neue Aktivitäten läge für die Ruhrkohle AG in der forcierten Entwicklung von neuen Kohleverstaubungs- und Kohlevergasungstechnologien, die den Kohleeinsatz in ökologisch sinnvollen Blockheizkraftwerken möglich machen würde.

Das rechnet sich alles nicht, sagt zum Bespiel der RWE-Energie-Chef Roland Farnung. Schon jetzt gebe es am Weltmarkt „gravierende Überkapazitäten“ bei der Solarzellenproduktion.

Dieses Argument ist absurd. Es tut mir leid, aber Herr Farnung hat keine Ahnung. Wir haben im Photovoltaikbereich jetzt schon eine Situation, in der es eindeutig einen Nachfrageüberhang gibt. Viele Modulproduzenten müssen drei bis sechs Monate auf ihre Solarzellen warten. Farnungs Argumentation liegt völlig daneben. Sie ist aber typisch für die Desinformationskampagne, die die großen Stromkonzerne gegen die neuen Technologien betreiben. Aus purem Eigeninteresse übrigens, denn sie fürchten zu Recht um ihre bequeme, profitable Monopolstellung bei der Energieversorgung.

Auch das Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI sieht die Perspektiven wesentlich düsterer als Sie. In diesem Bereich könne Deutschland „kein Exportweltmeister werden“. Solarfabriken zu fördern, so das RWI, laufe auf eine neue „Dauersubvention“ hinaus.

Das ist eine dümmliche, generelle Absage an den Industriestandort Deutschland. Mir ist im übrigen nicht bekannt, daß das RWI irgendeine Expertise von Gewicht zu diesem Thema veröffentlicht hätte. Die haben auf diesem Feld absolut keine wissenschaftliche Kompetenz.

Ihr Parteifreund und NRW- Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ist auch deutlich skeptischer als Sie. „Wir müßten von Sinnen sein, auf die Steinkohle zu verzichten“, sagt Clement.

Ich predige nicht den kurzfristigen Verzicht, sondern ich plädiere für eine Umstrukturierung Zug um Zug. Eines ist nun wirklich evident: Wenn es uns in den nächsten drei bis fünf Jahren nicht gelingt, im Bereich der Solarenergie einen industriellen Durchbruch zu erzeugen, dann wird einer der wichtigsten Technologiemärkte des nächsten Jahrhunderts von Deutschland aus nicht beliefert werden können. Verantwortlich für diese Blockade ist die permanente Desinformation seitens der Energiewirtschaft. Leider fallen auch einige Politiker auf deren interessengeleitete Argumentation rein. Seit fünf Jahren werbe ich nun schon für diesen dritten Weg, doch geschehen ist in Bonn nichts.

Auch Ihre eigenen Leute sind von diesem Weg nicht überzeugt.

Noch nicht. Bestimmte Ideen brauchen manchmal länger, um zu reifen.