■ Lesetip
: Sehnsucht und Siechtum

Der Stummfilmkomiker Buster Keaton, der in seinem Leben nicht nur eine Alkoholentziehungskur machte, unterzog sich einmal einer sogenannten Aversionsbehandlung, bei der dem Betroffenen verschiedene Sorten Alkohol hintereinander weg und bis über die Grenze zur Übelkeit hinaus verabreicht werden. Diese letztlich nicht besonders erfolgreiche Methode, dem Süchtigen seinen Suchtstoff ekelerregend zu machen, basiert auf der Verhaltenstherapie, die wiederum nur eine von vielen Möglichkeiten ist, auf Sucht zu reagieren.

Ganz einfach nur „Sucht“ heißt das von Gerhard Längle, Karl Mann und Gerhard Buchkremer herausgegebene Buch, das in der Reihe „Studien zu Lebenswelten behinderter Menschen“ erschien und damit schon den Blickwinkel verrät, von dem aus Sucht hier betrachtet wird – ohne sich jedoch auf eine Diskussion darüber einzulassen, was eigentlich das Wort „Behinderung“ meint. Denn obwohl in dem aus Vorüberlegungen und Beiträgen zu einer Tübinger Ringvorlesung und Tagung zum Thema „Sucht“ entstandenen Band auch Studien referiert werden, die auf genetische Veranlagung für diese Erkrankung hinweisen, und damit die Auffassung von Sucht als körperlichem „Defekt“ zumindest nahegelegt wird, kommen auch genügend andere Stimmen zu Wort.

Mit drei Themenschwerpunkten soll das Ziel eines „interdisziplinären Austausches über die Suchtproblematik“ erreicht werden. Zunächst kommen verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Medizin, Pädagogik, Anthropologie und Ethik zu Wort. In einem zweiten Teil wird aus den „Lebenswelten“ Abhängiger berichtet, das heißt, Suchtgruppen (Tabletten, Tabak, Alkohol, Heroin und dergleichen) und Süchtige (Jugendliche, Alte, Berufstätige und Wohnungslose) werden vorgestellt. Im letzten Teil ist einiges über Therapien, Suchtprävention sowie regionale Versorgungskonzepte zu erfahren und Einblick in die Psychopharmakologie, forensische Psychatrie und Medizingeschichte zu erhalten.

Ein Vorteil dieses Buches ist, daß es letztlich eine, dem Gegenstand gerecht werdende Zusammenschau verschiedener Problembereiche ermöglicht. Daß man da nicht immer in die Tiefe der Materie eintauchen kann, versteht sich von selbst. So ist das Buch am ehesten für diejenigen geeignet, die mit dem Phänomen „Sucht“ nicht vertraut sind und die sich darüber informieren wollen, wie nun im weiteren damit umzugehen sei. Das Buch trägt Eulen ins Athen der Spezialisten, aber ein Licht in die dunkle Kammer der Unwissenden. Der sich aus der Kursorität des Inhalts ergebenden Zielgruppe steht allerdings entgegen, daß es so manchem Beiträger nicht gelingt, aus seinem Fachchinesisch herauszukommen. Alexandra Seitz

Gerhard Längle (Hrsg.): „Sucht“. Attempto Verlag, Tübingen, 1996, 316 Seiten, 39 DM