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Kapelye in der Kirche

■ Das Bremer Sextett Klezgojim begeisterte in der prall gefüllten Stephani-Kirche mit jiddischem Soul und Tangomotiven

Wohl selten hat die Stephani-Kirche in den letzten Jahren soviel BesucherInnen wie am Sonntagabend gesehen. Der Andrang zum Record-Release Konzert der Bremer Klezmerkapelle Klezgojim war so stark, daß der Beginn des Auftritts verschoben werden mußte, um alle Wartenden einzulassen. Ein äußerst buntgemischtes Völkchen drängte sich im Kirchenschiff, von alternativ bis gesetzt. Klezmer, die traditionelle Tanzmusik der jüdischen Bevölkerung Osteuropas, spricht ein erstaunlich weitgefächertes Publikum an.

Seit '93 widmen sich Christian Dawid (Klarinetten, Saxophone), Martin Kratzsch (Klarinetten, Bassethorn, Piano), Johannes Horschik (Akkordeon, Piano), Stefan Kühne (Gitarre, Banjo), Ralf Stahn (Baß, Tuba) und Susanne Sasse (Drums, Perkussion) dieser „jiddischen Soulmusik“. Das Sextett spielt im und mit dem Klang-idiom US-amerikanischer Klezmerkapellen der 20er bis 50er Jahre. Durch die Massenmigration osteuropäischer Juden Ende des letzten und Anfang dieses Jahrhunderts wurde die Klezmermusik vom Shtetl in die us-amerikanischen Großstädte importiert, hat dort überlebt und wurde weiterentwickelt, während die Nationalsozialisten jüdische Kultur und jüdische Menschen in Europa vernichteten.

Neben traditionellen Tänzen wie Bulgar, Hora oder Freylakhs präsentierte Klezgojim auch Eigenkompositionen, vornehmlich von Christian Dawid, in denen die Polka-ähnlichen Rhythmen und die melancholischen Melodien rumänischer Provenienz der Klezmermusik sich mit Tango- und Tarantella-Motiven oder bajuwarischer Volksmusik verbanden (Odessa Tango, Klezmer al P(r)esto, Dem Zwieselwinkler Rebns Khusidl).

Leider hatte die Gruppe gegen eine ausgenommen schlechte Akustik in der Kirche anzukämpfen. Die nahm den Höhen die Brillanz und ließ die tiefen Töne zu einem meist dumpfen Brei verkümmern. Insbesondere in den Seitenflügeln klang vieles wie „von ferne“. So konnte man die musikalische Kompetenz der Band nur erahnen, die auf der zweiten CD „Out of the Eyebrow“ allerdings deutlich dokumentiert ist.

Neben einigen älteren Stücken und ein paar ganz neuen, waren vor allem Stücke dieser CD zu hören. Im zweiten Set spielte die Gruppe etwas unbefangener auf, so daß trotz der problematischen Akustik mehr von der tänzerischen Leichtigkeit und der manchmal ekstatischen Emphase, die Klezmermusik auszeichnet, herüberkam. Klezgojim legen ihren Akzent mehr auf den volkstümlichen, tanzmusikalischen Charakter von Klezmer und fangen die ungeschliffene, wunderbar zwischen Fröhlichkeit und Traurigkeit, zwischen Trotz und Verzweiflung balancierende Beseeltheit dieser Musik eher ein als manche konzertante Spielauffassungen mit ihrem Klangideal von Reinheit. So entließ das Publikum die „Kapelye“ erst nach mehreren Zugaben. Arnaud

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