SPD tappt in die CDU-Steuerfalle

Die Bereitschaft der SPD, mit der Koalition über eine vorgezogene Steuerreform zu verhandeln, könnte Kohl unverhofft Auftrieb geben und seine Chancen für das Wahljahr 1998 stärken  ■ Aus Bonn Markus Franz

Als SPD-Parteichef Oskar Lafontaine am 30. Januar bei der Bundestagsdebatte über die Arbeitslosigkeit Bundeskanzler Kohl zurief, entweder die Steuerreform komme 1998 oder er könne sie sich „abschminken“, glaubte mancher zunächst noch an eine der üblichen rhetorischen Kraftmeiereien. Aber Lafontaine hat sich durchgesetzt. Die Koalition stimmt zumindest einem Einstieg der Steuerreform 1998 zu und hat die SPD in der nächsten Woche zu einem Gipfelgespräch geladen. Doch was als Erfolg der SPD anmutet, könnte sich bitter rächen. Denn eine erfolgreiche Steuerreform könnte die SPD um ihre Chancen bei der Bundestagswahl 1998 bringen.

Die SPD befindet sich in einem nahezu ausweglosen Dilemma. Einerseits sind sich inzwischen fast alle einig, daß die Steuerreform vorgezogen werden muß. Die Rekordarbeitslosigkeit schreit geradezu nach Maßnahmen, die Wähler wollen Taten sehen. Wer sich verweigert, riskiert, als handlungsunfähig dazustehen. Die SPD muß also konstruktiv an einer Steuerreform mitarbeiten. Andererseits wird nicht sie, sondern in erster Linie die Regierung von einer erfolgreichen Steuerreform profitieren. Zwar könnte sich die SPD später zugute halten, den Beginn der Steuerreform forciert zu haben. Aber das kann auch die FDP für sich reklamieren, die nun wieder wie im vergangenen Jahr fordert, die gesamte Reform auf 1998 vorzuziehen. Zwar setzt sich die SPD möglicherweise mit einer Kilometerpauschale von 50 statt 40 Pfennig durch, aber entscheidender für das Bewußtsein der Wähler wird sein, daß es die Regierung ist, unter deren Ägide eine Reform verwirklicht wurde. Die SPD, wird es gönnerhaft heißen, hat halt mitgespielt.

Bei der SPD müßten sämtliche Alarmglocken schrillen, wenn der ehemalige Regierungssprecher und heutige Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Friedhelm Ost, sagt: „Mit dieser Steuerreform will Kohl in den Wahlkampf ziehen.“ Auch FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle begründet die Forderung nach einem frühen Beginn der Steuerreform damit, daß dies die beste Wahlwerbung sei. Müßte also der SPD aus wahltaktischen Gründen daran gelegen sein, die Steuerreform zu blockieren? Zerstritten, wie sie in dieser Frage ist, wird es ihr ohnehin schwerfallen, ihren Beitrag zum Gelingen einer Steuerreform herauszustellen. Streit gibt es vor allem um den Spitzensteuersatz. Lafontaine plädiert für die Beibehaltung von 53 Prozent, kommt damit aber einem einsamen Rufer in der Wüste gleich. SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping und dem finanzpolitischen Koordinator der SPD, Henning Voscherau, wären 40 Prozent lieber. Und der finanzpolitische Sprecher der SPD, Joachim Poß, hatte sich im vergangenen Jahr für 45 bis 47 Prozent ausgesprochen. Auch in der Frage der Besteuerung der Sonntagsarbeit bietet die SPD kein einheitliches Bild. Voscherau ist dafür, Lafontaine dagegen. Es rächt sich nun, daß die SPD noch kein konkretes Konzept vorgelegt hat. Höhnisch kann das Handelsblatt den Steuergipfel mit den Worten kommentieren: „Gratulation an die SPD: ein schöner Erfolg für eine Partei, die gerade erst damit begonnen hat, ein eigenes detailliertes Steuerkonzept zu erarbeiten.“

Erschwerend kommt hinzu, daß die Koalition davon profitieren könnte, daß sie der SPD in einigen Verhandlungspunkten nachgeben muß. Die Forderungen der SPD – keine Mehrwertsteuererhöhung, keine Besteuerung von Sonntagsarbeit sowie von Renten und von Lebensversicherungen zur Altersvorsorge – sind auch unter der CDU/CSU-Wählerschaft populär. Vor wenigen Tagen sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD, Joachim Poß, der taz: „Die CDU wird uns noch dankbar sein, daß wir sie von der Last mancher Punkte befreien.“ Das war als Scherz gemeint. Und doch könnte es sich als wahr erweisen. Immer noch hängt die Drohung des Arbeitsministers Norbert Blüm wie ein Damoklesschwert über der CDU, eine Besteuerung der Renten sei mit ihm nicht zu machen. Im Einvernehmen mit der SPD könnte sich die CDU dieses Konfliktes elegant entledigen.

Fraglich ist auch, ob die SPD gut beraten war, als sie dem Steuergipfel ohne Beteiligung der Bündnisgrünen zustimmte. Möglicherweise hat sie damit ihre Wahlchancen gemindert. Vergrätzt wurde so der einzige potentielle Partner für eine Ablösung der Regierungskoalition. Die SPD signalisiert, daß sie sich schon mal in der Großen Koalition erprobt. Die finanzpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Christine Scheel, bezeichnet das Verhalten der SPD als „Affront“. „Die lassen uns im Regen stehen, in der Hoffnung, daß sie sich profilieren können.“ Man müsse nur die Bilder sehen, auf denen Oskar Lafontaine mit strahlenden Augen neben dem Kanzler stehe. Damit aber, so Christine Scheel, werde ein Keil in die gemeinsamen Bemühungen getrieben, die Regierung Kohl abzulösen.