Kalter Krieg mitten in China

■ In Peking spielt sich ein kühler Machtpoker ab. Die Großmächte wagen nicht, Nord-Koreas Diktator Kim Jong Il fallenzulassen

Peking (taz) – Bis vor wenigen Jahren war das Café Adler am Berliner Checkpoint Charlie ein beliebtes Ausflugslokal, weil es seinen Besuchern mit Blick auf Mauern und Soldaten den Kalten Krieg vor Augen führte. Eine ähnliche Atmosphäre mit Spionen, Schranken und Schußwaffen bei heißem Kaffee und Kuchen bietet seit einigen Tagen die Glade Bar im Pekinger Botschaftsviertel San Li Tun. Die besondere Atmosphäre offeriert die Bar derzeit mit ihrem guten Blick auf die südkoreanische Botschaft: Bequem läßt sich beobachten, was seit einer Woche Asien erregt. Es sieht aus, als herrsche mitten in Peking Kalter Krieg.

Polizeipatrouillen und Panzerwagen halten den Straßenblock gegenüber der Glade Bar streng bewacht. Die Uniformierten tragen Maschinengewehre und kugelsichere Westen. Miteinander geredet wird erst wieder, seit die nordkoreanischen Geheimdienstwagen von der anderen Straßenseite abgezogen sind. Krankenwagen fahren vor. Die Fahrer müssen achtgeben, daß ihre Reifen die ausgelegten Krähenfüße schadlos passieren. Zweimal schon wollten nordkoreanischen Befreiungskommandos in die südkoreanische Botschaft eindringen. Das erscheint jetzt aussichtslos. Auf die heiße Phase des kurzen Pekinger Botschaftskrieges ist bereits die Phase der Entspannungspolitik gefolgt.

Allerdings ist der Stein des Anstoßes nicht beseitigt: Hwang Jang Yop (73), bis vor wenigen Tagen noch Mitglied des Zentralkomitees der nordkoreanischen Arbeiterpartei und die Nummer 24 der Kim-Diktatur, verweilte bis gestern in den Gemäuern der umstellten Botschaft. Hwang will nach Jahrzehnten strengen Parteigehorsams, in denen er sich als „Chefideologe“, einflußreicher Außenpolitiker und persönlicher Lehrer des nordkoranischen Führers Kim Jong Il auszeichnete, seine weiteren politischen Dienste im Süden des Landes verrichten. „Wie können wir Leute gesund nennen, die von einem Utopia für Arbeiter und Bauern sprechen, während die Arbeiter und Bauern verhungern?“ klagt Hwang den Norden in einem schriftlichen Asylgesuch an. Demnächst wolle er für die Wiedervereinigung seines Landes in Seoul arbeiten.

Doch so einfach wechselt der Lehrer des Führers nicht die Seiten. Zwei Schüsse aus den Pistolen nordkoreanischer Agenten, die am Wochenende den Kim-Dissidenten Lee Han Young in Seoul lebensgefährlich trafen, belegen: Die nordkoreanische Gefahr ist kein Phantom.

Die Entspannung kommt also nicht zu früh. Zuvor setzten die Weltmächte USA und China alle erdenklichen Hebel in Bewegung, um Pjöngjang zum Einlenken zu bringen. Washington und Seoul versprachen Lebensmittelhilfen, Peking empfing hochrangige nordkoreanische Delegationen. Der erste Erfolg stellte sich am Montag dieser Woche ein, als ein Sprecher des nordkoreanischen Außenministeriums ankündigte, Pjöngjang werde gegen ein Asylgesuch Hwangs – falls es sich darum und nicht um eine Entführung handele – nicht länger opponieren.

Die Geschichte ist damit natürlich nicht aus der Welt. Sie beginnt womöglich erst: Denn was, wenn Hwang mit all seinem Intimwissen über die nordkoreanische Führung an die Weltöffentlichkeit geht? Wieviel Attentate folgen dann in Seoul und wie oft will man noch Lebensmittelhilfen versprechen?

Schon Hwangs kurze, handgeschriebene Sätze über Kim Jong Il, der sich für ein Genie halte und keine Kritik dulde, bestätigen aus einer Insiderquelle die schlimmsten Befürchtungen des Westens: daß Baby-Kim im Gegensatz zu seinem Vater Kim Il Sung, der Nord-Korea von 1945 bis 1994 regierte, unberechenbar sei. Wer, wenn nicht der alte Chefideologe, könnte besser die Frage stellen: Wie lange wollen China, Japan und der Westen noch zuschauen, wie Kim Jong Il sein Volk vernichtet?

Die Hwang-Affäre kommt deshalb auch Washington ungelegen, das sich moralisch als erstes bedrängt sähe. Seit Jahren bemüht sich die Clinton-Administration um engere Beziehungen zu Nord- Korea, um das Land der Isolation zu entreißen und seine Politik durchschaubarer zu machen. So beschuldigen US-Diplomaten jetzt Seoul, die Krise um Hwang provoziert zu haben. In Washington heißt es, sein Fall hätte sich unter dem stillschweigenden Mantel der Diplomatie leicht regeln lassen.

Facettenreich ist auch die chinesische Position: Hwang soll in Peking viele gute Freunde haben, weil er einer der glaubwürdigsten Vertreter des traditionell verbündeten Regimes in Pjöngjang war. Damit diente Hwang dem wichtigsten Ziel der chinesischen Koreapolitik: dem Fortbestehen des geteilten Landes. Wie aber kann sich Peking auf ein Regime verlassen, das seine besten Männer verstößt?

Fragen über Fragen, die sich an einem Platz wie der Glade Bar in Peking jetzt gut diskutieren lassen. Georg Blume