Und wen es sonst angeht

■ Kleiner Greis, blonder Engel: Ernie Gehrs "For Daniel" im Forum

Frühstückslektüre: In der Berliner Zeitung findet sich die Bildunterschrift „Aus spröden Materialien formt der Nonkonformist Olaf Metzel seine Skulptur – Hammer und Katapult“. Irgendwie ist es der Kunstreligion gelungen, auch ihre geronnensten Klischees (spröde“, „nonkonformistisch“, „Olaf Metzel“), ihre striktesten Konventionen immer aufs neue mit der Verve des Überraschenden zu präsentieren. Wenn es von einem Film heißt, er sei „nicht linear“, „ohne Syntax“ und im „Bruch mit traditionellen Sehgewohnheiten“ erzählt, sollte man allerdings nicht gleich weglaufen. Umgekehrt sollte es nicht schon als Qualitätsmerkmal durchgehen, wenn ein so angekündigter Film dann drei bis vier Stunden dauert.

Der 1943 in New York geborene Ernie Gehr macht seit 1968 Filme. Obwohl auch er an den Konventionen des Avantgardefilms – vor allem der New Yorker Szene von Jonas Mekas bis Ron Rice – geschult ist, haben seine Filme nie mit diesem Bestrafungspathos kokettiert, dem Zuschauer irgend etwas an- oder abgewöhnen zu wollen. Bekannt wurde Gehr, der 1982 hier DAAD-Stipendiat war, hierzulande durch „Signal – Germany on Air“ (1982–85), eine gut informierte Beschreibung von Spuren der Judendeportation an verschiedenen Stellen Berlins.

Langzeitkino, Familienkino

Auf der Berlinale war er zuletzt mit „Side/Walk/Shuttle“ (1992–96) zu Gast gewesen. In glasklaren Farben und schneidend scharfen Konturen sah man, was ein Außenwandfahrstuhl in San Francisco sieht, wenn er auf die Bay Area blickt. Majestätisch wie holländische Schiffe wogten die Häuser auf und ab, in immer leicht verschrägte Richtungen, so daß man es mit einem wandernden Gravitationszentrum zu tun bekommt. Aus dem Off hörte man dazu ein Gespräch von einem Flughafen.

Diesmal hat Gehr einen Film über seinen Sohn Daniel mitgebracht, der jetzt fünf Jahre alt ist, und den er von der Stunde Null an immer wieder aufgenommen hat. Wie Säuglinge das an sich haben, sieht Daniel am Anfang aus wie ein uralter, unzufriedener Mann mit riesigen Händen, der allerdings seinen Mund zu einem weichen O zu runden versteht. Die Augen sind riesig schwarz und blicklos. So ausgeliefert! Als er ein Jahr alt ist, hat sich aus diesem kleinen Greis ein blonder Engel geschält. Man ist eine Weile damit beschäftigt, das sehr niedlich zu finden. Dann wiederholt sich die Erfahrung des Außenwandfahrstuhls: Wo ist zu Hause, Mama? Wo oben und unten? Wessen Hände sind das?

Ob das Familienkino für die Öffentlichkeit taugt, ist nicht geklärt. Vorsichtig fragte eine Frau, warum sich das Forum wohl für diesen statt eines anderen der gewiß zahlreich eingereichten Homemovies entschieden hat. Sie hätte sich sicher leichter mit einem Film wie Stan Brakhages „Window Water Baby Moving“ anfreunden können, der noch mit dem sehr viel pompöseren Anspruch aufgetreten war, die Kunst mit dem Leben zu verschmelzen.

Aber Gehr hatte es eben dankenswerterweise darauf gar nicht angelegt. Es ist ein Film für Daniel und wen es sonst noch etwas angehen mag. Mariam Niroumand

„For Daniel“. USA 1992–97, 72 Minuten. Regie: Ernie Gehr

22.2.: 14 Uhr im Delphi; 23.2.: 20 Uhr im Arsenal