Ein Jesus am Fleischeskreuze

■ „Larry Flynt: Die nackte Wahrheit“ von Milos Forman ist zuerst konkret und dann vielleicht auch alles andere. Eignet er sich überhaupt zur Porno-Debatte?

Wenn etwas reichlich bescheuert klingt und zudem noch anstrengend zu werden verspricht, so muß es doch lehrreicher Unterhaltsamkeit keineswegs entbehren. Wie das Recht, sich – nun ja – selbst auszudrücken. Larry Flynt, ein strutzarmer Bengel aus Kentucky, setzte dieses Menschenrecht für seine Person durch, indem er den Hustler, ein der Subtilität nicht gerade frönendes, Sex-orientiertes Magazin, gründete und fortan gegen all diejenigen vor die Gerichte ziehen mußte und zog, die ihm sein individuelles Ausdrucksrecht vermasseln wollten. Milos Forman hat in Larry Flynts Biographie einen großartigen Filmstoff erkannt, den er auch gleich in einen großartigen Film überführte. Sicher, man könnte Larry Flynts Biographie und den Streit um seinen Hustler in den Rahmen der Pornographie- Debatte zwängen, doch um Abstraktes und Allgemeines ging es Milos Forman, so sagt er selbst, weniger. Den Regisseur fesselte nicht so sehr das Schmuddelpotential von Larry Flynts Leben, sondern ein über das Maß besessener, komischer und anstrengender Mensch, man könnte auch sagen: ein Außenseiter.

Larry Flynt hätte einem beharrlich auf sein Recht pochenden Michael Kohlhaas kaum das Wasser reichen können und ist doch dessen Fortsetzung mit anderen Mitteln. Formans Blick gilt – so war das in den meisten seiner früheren Filme – eher dem individuellen Katalysator, weniger der politischen Katalyse.

Dieser Ansatz zahlt sich für Forman aus. Wer behauptet, daß Politik nicht komisch sei, sollte unverzüglich die Klappe halten. „Für eure Pressefreiheit gehe ich ins Gefängnis“, schmettert Larry Flynt, der Bauer im Maßanzug, den Vertretern der seriösen Presse entgegen. Die warten den Ausgang von Flynts Prozessen stets vornehm ab, um seinen Erfolg dann für sich auszubeuten.

Larry Flynt ist weder von Größenwahn noch Prätention angekränkelt; der Mann (wunderbar: Woody Harrelson!) wollte nie ein großer Welterklärer sein, sondern gibt den Leuten, was deren Primärtriebe – und seine eigenen – ohne Umschweife freut.

Flynt halst sich damit unversehens gleich zwei Rollen auf: Clown und – damit hat Flynt nicht gerechnet – Gladiator im Medienzirkus. Larry Flynts Leben läuft ab wie ein Stationendrama – der Tellerwäscher, der es zum Millionär bringt: Arm geboren, reich geworden, angefeindet, christlich erweckt, getauft und doch wieder abgefallen vom Glauben, nach einem Attentat gelähmt und wieder aufgerappelt. Die Symbiose zwischen Flynts kuriosem Ehrgeiz und der Cleverness, mit dem er das Äußerste an Spaß und Erfolg aus seinen Neigungen herausholt, spielt Forman aus. Larry Flynt ist zwar ein grotesker extremer Charakter, ein Jesus am Fleischeskreuze, der allerhand auslöst, doch der rote Faden des Films ist seine unglaublich unerschütterliche Liebe zur ramponierten Stripperin Althea. Viel Raum für Distanz und Debatte bleibt da eigentlich nicht.

In „Larry Flynt“ gibt es einen Bilderreigen, der Kriegsfotos auf das Hastigste mit Sexfotos überschneidet. Wahrer und knapper konnte Forman Elend und Komik der Schöpfung, wenn man es so nennen will, nicht abbilden. Nie macht sich Milos Forman lustig über Flynts „besonderen“ Geschmack oder Altheas Hexenlachen, nie degradiert Forman ihren speziellen Weg ins Leben zur Freakshow. Präziser noch: Nie benutzt Forman die beiden, um etwas vorzuführen.

„The People versus Larry Flynt“ ist zuallererst ein Film über die Liebe – und einer über Toleranz, die – und das macht Flynt zum tragikomischen Helden – Flynt LEBT, und nicht das Establishment.

Der echte Larry Flynt spielt in einem Gastauftritt jenen Richter Morrissey, der ihn seinerzeit im wirklichen Leben wegen unchristlicher Pornographie verurteilt hatte. Anke Westphal