Nieder mit Jackie O.

Milos Formans Film über Larry Flynt zeigt nicht die nackte Wahrheit. Was im Film nicht zu sehen ist, steht im „Hustler“  ■ Von Mariam Niroumand

Man könnte die Geschichte als Capra-Film erzählen: Larry Flynt, ein freidenkender Unternehmer aus ärmlichsten Schnapsbrenner- Verhältnissen, läuft sein Leben lang Sturm gegen Bigotterie und Heuchelei. Er betreibt ein Magazin, The Hustler, in dem er für freie Liebe wirbt, wird dafür verfolgt, eingesperrt und zum Krüppel geschossen, aber er gibt nicht auf. Aufrecht hält ihn einzig die Liebe seiner Frau Althea und der Glaube an die amerikanische Verfassung, und schließlich, nachdem er fast in Drogensucht, Verzweiflung und Wahnsinn versunken wäre, gibt ihm der Oberste Gerichtshof recht. Am Tag seines Sieges aber ertrinkt Althea.

So könnte man es erzählen, und zu dieser Variante hat sich Regisseur Milos Forman für seinen Film „The People versus Larry Flynt“ auch entschlossen – wozu er sicher alle Unterstützung von seinem Produzenten Oliver Stone hatte. Auf der Berlinale-Pressekonferenz begründete er sein Interesse an dem Fall mit seinen Erfahrungen als Osteuropäer: „Ich habe Zensur erlebt, ich habe Unrechtsregime erlebt. Es spielt keine Rolle, ob mir gefällt, was im Hustler zu sehen ist. Pornographie ist eben der Preis, den wir für Meinungsfreiheit zahlen.“

Forman ließ gerne wissen, daß seine Wahl der Band-Leaderin von Hole und früheren Kurt-Cobain- Gattin Courtney Love für die Rolle der Althea nicht zuletzt auf dringenden Wunsch von „Mr. and Mrs. Václav Havel“ zustande kam, die unbedingt eine Casting- Agency aufmachen sollten, so recht hatten sie. Love ist madonnamäßig schlagfertig, lustig und sexy, bis sie in die Untergangsrolle schlüpfen soll, die seit der Ginger in „Casino“ oder seit Anna Karenina so seltsam beliebt ist. Die „Schlampen kommen“, titelte zu diesem neuen Trend unlängst ein Berliner Stadtmagazin. Woody Harrelson gibt Flynt als einen draufgängerischen Freund der Damen und des guten Lebens, der für den Hustler einmal wirbt, indem er auf großer Leinwand vor einer Gruppe bestellter Claqueure Bilder aus Konzentrationslagern mit Aktfotos kontrastiert: „Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was ist obszöner?“ (Gute Frage!)

Was man in „The People versus Larry Flynt“ vom Hustler sieht, ist mit einer Ausnahme exakt die hinreichend bekannte Playboy-Ästhetik: Blumig drapierte Häschen mit kleinen Spitzen, das Schönheitsideal der fünfziger Jahre von Frauen, die zugleich sexy und unberührt sind.

Forman gab auf der Pressekonferenz deutlich genug zu verstehen, daß sein Film andernfalls nie die Zensur passiert hätte. Wer aber auch nur eine Ausgabe des Hustler in der Hand hatte, weiß, daß man auf diese Weise den interessantesten Teil der Geschichte, nämlich wie der Hustler wirklich zu Sex steht, verpaßt. Frauen mit Durchfall, denen der Kot die Beine runterläuft, 150-Kilo-Frauen, Hillary Clinton als Fickpuppe, Frauen mit Schwänzen oder Neger, die ihrerseits am Schwanz herumgeführt werden, sind schon eher die Hausmarke des Blatts aus dem Hause Flynt.

In jedem Heft wird ein Arschloch des Monats gewählt, darunter die Rubrik „Fürze im Wind“, im laufenden Heft findet sich eine Fotoserie mit Frauen, die beim Einkaufen, auf der Straße oder beim Arzt in die Hosen machen.

Der Modus operandi des Blattes ließ sich schon an der zweiten Ausgabe sehen. Ein italienischer Paparazzo hatte mit Teleobjektiv ein Haus auf der griechischen Insel Skorpios belauert, bis Jackie Onassis nackt heraustrat und sich eine Weile im Garten räkelte. Das hämische Ressentiment gegen die reiche Frau, die sich nackt irgendwo breitmacht und ihren Körper und ihr Leben genießt – das ist schon eher das, was sich der Hustler unter Sex vorstellt.

Zwar war er ein Produkt der sexuellen Revolution: Forman zeigt die Anfänge Larry Flynts in Sexclubs, die sich von traditionellen Bordellen ja gerade dadurch auszeichnen sollten, daß hier Männer und Frauen Konsumenten sind. Zwar trat er in den frühen siebziger Jahren auf den Plan, als in den Kinos gerade „Deep Throat“, „The Devil in Miss Jones“ oder die „Emmanuelle“-Serie liefen, in denen die Erbschaft der sexuellen Revolution vermacht wurde – daß Frauen gerade dabei sind, ihren unbekannten dunklen Lustkontinent zu entdecken. Zwar erscheint auch die Althea des Films als Sexpionierin- und Athletin; aber schon in Larry Flynts Autobiographie, die gleichzeitig mit dem Film zu Weihnachten auf den amerikanischen Markt kam, wird eingeräumt, daß guter Sex gerade nicht die Basis ihrer Lebensgemeinschaft war. Im Hustler ließ sich Althea einmal mit der Bemerkung vernehmen, sie wüßte nicht, was dagegen zu sagen sei, wenn Männer ihren Frauen ab und an mal eine kräftige Ohrfeige verpaßten, „viele stehen sogar drauf“.

Es sollte wieder Scham in den Sex, auch und gerade im Hustler. Vollgeschissene nackte Beine, enthüllte Häßlichkeit, denunzierte Freiheit. Oder, wie Louis Menand in der New York Review of Books schrieb: „Im Hustler ging es nicht, wie im Playboy, um Sex als Spiel oder Sex ohne Verklemmtheiten. Es ging um Sex als Gewaltakt. Die Nacktfotos von Jackie Onassis verkörperten genau die Haltung des Blattes.“

Von da aus gesehen überrascht Larry Flynts Konversion zu den Evangelisten, angeregt von der Schwester Jimmy Carters, sehr viel weniger als im Film. Sie erfolgte, nachdem Jimmy Carter im Playboy bekannt hatte, auch er habe schon einmal „Lust im Herzen“ verspürt, und nachdem der Fernsehprediger Jerry Falwell sich wegen dieser Äußerung öffentlich erregt hatte. Im Film sieht man eine verrückte erotische Spannung zwischen Ruth Carter Stapleton und Larry Flynt, die mit geröteten Wangen auf ihrer Couch schüchtern Händchen halten. Nachdem er im Ohio River getauft worden war, wollte er dann auch Bilder von nackt gekreuzigten Frauen im Blatt.

Forman nannte „The People versus Larry Flynt“ eine Hommage an den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Schade, daß er dann nicht etwas genauer mit den juristischen Angelegenheiten verfahren ist, um die es in den verschiedenen Prozessen ging.

Der entscheidende war „Hustler versus Falwell“. Der Teleevangelist, dessen Imperium inzwischen etwa so groß war wie das des Hustler, hatte Flynt verklagt, weil dieser eine getürkte Campari-Anzeige gedruckt hatte, auf der Falwell mitteilt, sein „erstes Mal“ sei seine Mutter gewesen, und zwar auf einem Außenklo, und übrigens predige er auch häufig betrunken.

In diesem Prozeß ging es nicht um eine Obszönitätsklage, wie der Film glauben macht, sondern um die kompliziertere Frage, was wichtiger ist: Schutz der Intimsphäre einer Person oder Freiheit der öffentlichen Debatte, wenn es sich um eine Figur des öffentlichen Lebens handelt. Wäre statt Falwell Jesse Jackson das Ziel der Kampagne (und eine Kampagne war es) gewesen, hätte weder Flynt noch Forman so einfach mit Zustimmung rechnen können.

Flynt und Falwell brauchten einander als Antipoden und waren sich doch so nah: Beide hatten ein Publikum von Angeschmierten, die einen grimmigen Haß auf Hedonisten und Libertins schoben. Darauf einen Campari.