■ Hollywood stilisiert den Pornographen und „Hustler“- Herausgeber Larry Flynt zum Freiheitshelden, da die Kritik an dem „anything-goes“ der Unterhaltungsindustrie wächst: Der Gipfel der Unverfrorenheit
Hollywood, so möchte man meinen, ist derzeit ein kleines, gallisches Dorf, eingekesselt, aber noch nicht eingenommen – von den mächtigen Legionen – nicht des großen Cäsars, sondern des großen Zensors. Die deutsche Bundesregierung ist da Seit' an Seit' mit der amerikanischen christlichen Rechten, dem US-Kongreß, schwarzen Aktivisten und Feministinnen aufmarschiert. Erstere hat es nach Ansicht des tapferen Dorfvölkchens auf die Religions- und Meinungsfreiheit im allgemeinen und auf die „Scientology“-Sekte und deren prominenteste Anhänger Tom Cruise und John Travolta im besonderen abgesehen; die christliche Rechte will die Unterhaltungsindustrie auf den moralischen Hygienestandard der fünfziger Jahre zurückboxen; schwarze Aktivisten zerdeppern und/oder boykottieren Rap-Musik, in denen Schwarze als „Nigger“, Frauen als „Fotzen“ und die Schießorgie im gegnerischen Gangterritorium mit „let's smoke the motherfuckers“ besungen werden, der US-Kongreß will Zensur im Internet; und die Feministinnen – berechenbar, wie sie nun mal sind – protestieren schon wieder gegen Pornographie auf der Leinwand.
Ein Befreiungsschlag tat not. Statt Hinkelsteine zu werfen, antwortete die Traumfabrik mit dem jüngsten Opus von Milos Forman über den Pornographen, Hustler- Herausgeber und selbsterklärten „Drecksack“ Larry Flynt als Kämpfer für die Meinungsfreiheit. Auf den Seiten der New York Times wurde Formans Film als „so zeitgemäß und patriotisch wie kein anderer in diesem Jahr“ gefeiert; James Carville, Bill Clintons Wunderstratege im Wahlkampf 1992, preist das Werk als künstlerische Protesterklärung gegen den „Totalitarismus“, dessen Anfänge immer in der Zensur von Pornographie lägen, und als „provokative Kunst“ für die Arbeiterklasse; das Washingtoner Polittratsch-Magazin George – von Kennedy-Sprößling John Junior herausgegeben – befielen gar Minderwertigkeitsgefühle, weil man sich angesichts der Zivilcourage Flynts „wie ein Feigling“ fühlen müsse.
Hoppla, denkt sich da die aufmerksame Beobachterin: Vom „Drecksack“ zum Darling der links angehauchten Kultur- und Politschickeria befördert zu werden, ist selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten eine beachtliche Karriere. Niemandem scheint dabei aufzufallen, daß die Macher hier eine Lebensgeschichte als Fanal gegen Zensur präsentieren, aus der sie vorab ganz freiwillig ein paar zentrale Fakten herausradiert – oder sagen wir: zensiert – haben: Der Hustler ist weder ein „nicht gerade subtiles erotisches“ Magazin wie Anke Westphal in der taz vom 15. Februar schrieb, noch ist er ein geschmackloses Magazin, wie manche Kritiker meinen, die sich in ihrem ästhetischen Empfinden gestört fühlen. Im Hustler werden Frauen bevorzugt als kotbeschmierte, durchzufickende Wesen und Schwarze als triebgesteuerte Sexmaschinen dargestellt. Da wird eine Frau in einen gigantischen Fleischwolf gestopft. Oder nackt auf einen Billardtisch gelegt, an dem dann für die Kamera eine Massenvergewaltigung nachgestellt wird. Es bedurfte eines Gastkommentars der Feministin Gloria Steinem, um die Leser der New York Times darüber zu informieren, daß dieser spezielle Ausdruck von „nicht gerade subtiler Erotik“ Nachahmer in einer Kneipe in New Bedford in Massachussetts fand. Und ein Opfer. Worauf Flynt in der nächsten Hustler-Ausgabe wieder ein Bild einer nackten Frau auf einem Pooltisch mit „schönen Grüßen aus New Bedford“ abdruckte.
Steinem selbst fand ihr Foto in Hustler auf einem „Most Wanted“- Poster wieder. Wenn Abtreibungsgegner mit solchen Methoden Ärzte und Klinikbesitzer einzuschüchtern versuchen, sind Linke und Liberale dies- und jenseits des Atlantiks zu Recht hell empört. Ein Pornograph aber, der dieselben Methoden gegen Frauenrechtlerinnen einsetzt, taugt plötzlich als Held fürs vermeintlich progressive Publikum im Kampf gegen die religiöse Rechte und den großen Zensor.
Dabei geht es in der gegenwärtigen Debatte um Meinungsfreiheit und Moral ohnehin nicht um Zensur. Das Recht des einzelnen auf Meinungs- und Ausdrucksfreiheit wird in den USA nach wie vor weit höher bewertet als in europäischen Ländern – und weit höher als die Rechte jener, die dadurch möglicherweise in ihrer Würde verletzt oder eingeschüchtert werden. Zudem sind auch und gerade die Konservativen in den USA anti-etatistisch genug, um den Ruf nach der staatlichen Schere tunlichst zu vermeiden. Nein, die Auseinandersetzung findet auf gesellschaftlicher und ökonomischer Ebene statt – mit den altbekannten Mitteln und Methoden sozialer Bewegungen: Man organisiert die Basis, startet Briefkampagnen und Boykotte gegen Produktionsgesellschaften, hält Mahnwachen vor Kinos und macht Lobbyarbeit. Und es ist keineswegs nur die christliche Rechte, die da gegen den vielbeschworenen „Verfall der Werte“ mobilisiert, sondern auch ein breites Spektrum von ganz säkularen Elternverbänden aus den Suburbs bis zu Nachbarschaftsgruppen aus den Ghettos, die sich gegen eine „anything-goes“-Mentalität in der Unterhaltungsindustrie zur Wehr setzen. Wobei die in Deutschland entbrannte Debatte über den verderblichen Einfluß der „Power Ranger“ auf die kindlichen Gemüter für amerikanische Ohren richtig niedlich klingt.
Keine Frage: Da entstehen neue, manchmal sehr fragwürdige Koalitionen, da paart sich Heuchelei oft mit ernstzunehmender Kritik. Doch wer die Welt weiterhin in aufgeklärte Verfechter der Meinungsfreiheit und prüde Moralapostel aufteilen will, kommt in Navigationsschwierigkeiten.
Am meisten aber disqualifizieren sich jene, die nun einen Larry Flynt zum Helden im Kampf um die Meinungsfreiheit hochstilisieren. Dieser Film, schreibt Gloria Steinem ganz richtig, wäre nie entstanden, hätte Larry Flynt seinen Lebensunterhalt mit Fotos von weißen Männern im Fleischwolf verdient und diese vor Gericht als „provokative Kunst“ verteidigt. Es geht also weniger um Meinungsfreiheit, als darum, Pornographie der Marke Hustler in intellektuellen Kreisen salonfähig zu machen. Sich dann noch als Avantgarde gegen den Totalitarismus zu gebärden, ist allerdings der Gipfel der Unverfrorenheit. Möge ihnen der Himmel auf den Kopf fallen. Andrea Böhm
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