Späte Rache an einer Bürgerrechtlerin

Bernadette Devlin-McAliskeys Tochter Roisin sitzt seit November in britischer Auslieferungshaft. Sie soll am IRA-Anschlag auf eine Kaserne in Osnabrück 1996 beteiligt gewesen sein  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Ich hatte geglaubt, daß mich nach einem Vierteljahrhundert Krieg in Nordirland nichts mehr erschüttern kann“, sagte die nordirische Bürgerrechtlerin Bernadette McAliskey, „und dann kommt so was.“ So was – das ist die Verhaftung ihrer Tochter Roisin McAliskey, die seit November im englischen Holloway-Gefängnis sitzt, weil die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ihre Auslieferung beantragt hat.

Die deutschen Behörden glauben, daß die 25jährige im Juni vorigen Jahres an dem mißlungenen Anschlag auf die britische Quebec- Kaserne in Osnabrück beteiligt war. Die Beweise, die bisher vorgelegt wurden, sind dürftig: Zwei Fingerabdrücke auf dem Zellophan einer Zigarettenpackung, die „in Verbindung mit einer Ferienwohnung bei Osnabrück“ gefunden wurde, sowie die Aussage einer Zeugin, die Roisin McAliskey auf einem Foto erkannt haben will. Das Foto hat jedoch kaum Ähnlichkeit mit McAliskey, weil ein Polizeibeamter sie im berüchtigten Belfaster Verhörzentrum Castlereagh in den Schwitzkasten genommen hatte, um die Aufnahme zu machen.

Seit November hat das englische Gericht viermal die Freilassung gegen Kaution verweigert, zuletzt vor einer Woche, obwohl sich Politiker und Geistliche als Bürgen angeboten und Freunde mehr als eine Million Mark an Kaution aufgebracht haben. Die Anwältin der deutschen Behörden sagte vor Gericht, sie sei angewiesen worden, den Kautionsantrag abzulehnen. Bei der deutschen Botschaft in London erhält man hingegen die Auskunft, daß die Verantwortung für die fortdauernde Haft bei den Briten liege – die Bundesanwaltschaft habe keine Einwände gegen eine Freilassung auf Kaution. Um der Forderung nach Freilassung McAliskeys Nachdruck zu verleihen, besetzten Unterstützer vorige Woche zeitweilig das Goethe-Institut in Dublin.

McAliskey ist im siebten Monat schwanger, die Ärzte sprechen von einer Risikoschwangerschaft. Außerdem leidet sie unter Rheuma und Asthma. Die britischen Behörden haben sie als „Kategorie- A-Gefangene“ eingestuft, das ist die höchste Sicherheitsstufe und bedeutet Isolationshaft. Es bedeutet außerdem, daß sie keinen Zugang zur Schwangerenstation des Gefängnisses hat, weil alle anderen Gefangenen zuvor evakuiert werden müßten. Das für Holloway zuständige Whittington-Krankenhaus hat angedeutet, daß McAliskey wegen der Sicherheitsanforderungen ihr Kind möglicherweise anderswo zur Welt bringen muß. Nach der Geburt wird sie – sollte sie dann immer noch einsitzen – sogleich von ihrem Kind getrennt, weil im Mutter-Kind-Flügel des Gefängnisses andere Frauen inhaftiert sind, mit denen sie keinen Kontakt haben darf.

Roisin McAliskeys eigene Geburt vor 25 Jahren war ein Medienereignis. Ihre Mutter Bernadette war die jüngste Unterhaus-Abgeordnete aller Zeiten. Damals hieß sie noch Devlin. Das Foto der jungen schwarzhaarigen Bürgerrechtlerin auf den Barrikaden von Derry, die Steinplatten in wurfgerechte Stücke zerbrach, ist um die Welt gegangen. 1972, nachdem britische Fallschirmjäger und Scharfschützen das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten eröffnet und 14 Menschen ermordet hatten, ohrfeigte sie den Innenminister Reginald Maudling im Parlament.

1974 verlor Bernadette Devlin ihr Mandat. Später trat sie in die Irisch-Republikanische Sozialistische Partei ein, verließ die Organisation jedoch wegen heftiger interner Auseinandersetzungen bald wieder. 1981 brach ein loyalistisches Mordkommando in ihr Haus ein und feuerte neun Schüsse auf sie ab. Sie überlebte schwerverletzt, ihr Mann Michael hatte ebenfalls mehrere Kugeln abbekommen. Roisin und ihre Geschwister Deirdre und Fintan wurden Augenzeugen der Tat. Britische Soldaten hatten das Haus damals bewacht. Auf die Frage, warum er die Attentäter nicht aufgehalten habe, antwortete ein Soldat, er sollte lediglich auf Personen achten, die aus dem Haus herauskamen – und nicht auf Leute, die hineingingen.

Seitdem meldete sich die streitbare Republikanerin – ihre Gegner tauften sie „Firebrand“ – regelmäßig zu Wort, ihre Meinung ist in Irland noch immer gefragt. Vorige Woche, als sie in Dublin im Haus der Lehrergewerkschaft von den Haftbedingungen ihrer Tochter erzählte, war der Saal gerammelt voll. „Jeden Abend um acht wird sie durchsucht“, sagte McAliskey. „Dabei muß sie sich nackt ausziehen. Dieselbe Prozedur muß sie auch vor und nach jedem Besuch über sich ergehen lassen.“ Ihre Tochter sei nie in Deutschland gewesen, fügte sie hinzu.

Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist anderer Meinung. Über die Auslieferung wird am Ende wohl das Londoner Oberhaus entscheiden müssen, doch das kann dauern. Wegen des Anschlags auf die Osnabrücker Kaserne waren die deutschen Behörden auch hinter dem ehemaligen britischen Soldaten Michael Dickson und dem Belfaster Schauspieler James Corry her. Letzterer war in Dublin verhaftet worden, ist inzwischen aber wieder auf freiem Fuß: Die irische Justizministerin Nora Owen ordnete im Januar seine Freilassung an, nachdem sie erfahren hatte, daß Deutschland seine eigenen Staatsbürger grundsätzlich nicht ausliefert.

Laut Europäischer Konvention über Auslieferung aus dem Jahr 1957 kann Deutschland deshalb auch von keinem EU-Land verlangen, die eigenen Bürger auszuliefern. Corry legte seinen irischen Paß vor – und schon war er frei. Bei Roisin McAliskey liegt der Fall anders: Das englische Gericht stufte sie, die in der britischen Krisenprovinz Nordirland geboren ist und dort bis zu ihrer Verhaftung lebte, als Irin ein.