Ist Walters Weisheitszahn gezogen?

Sachsen tauscht Gericht gegen Uni: Der neue Eigentümer des berühmten Universitäts-Hochhauses in Leipzig ist eine Bank aus Wiesbaden. Die Universität wehrt sich vor Gericht  ■ Aus Leipzig Robin Alexander

Das höchste Gebäude Leipzigs mißt 142 Meter und soll ein aufgeschlagenes Buch darstellen. Eine angemessene Symbolik, denn der Wolkenkratzer im Zentrum der Stadt gehört zur Universität Leipzig. Vielleicht nicht mehr lange, denn seit Ende 96 heißt der Eigentümer des Uni-Hochhauses laut Grundbuch: Depfa-Bank, Wiesbaden. Noch ist das ehemalige Volkseigentum aber nicht hessischer Privatbesitz. Die Hochschule legte vor Gericht Einspruch ein. Gestern wurde in der Messestadt erstmals darüber verhandelt.

„Wir wurden im November gefragt und haben unsere Zustimmung verweigert“, berichtet Cornelius Weiss, Rektor der Uni. Die sächsische Staatsregierung tauschte das Hochhaus trotzdem gegen ein Gerichtsgebäude, das die Depfa vom bankrotten Jürgen Schneider erwarb. „Ringtausch“ nennen das Landesregierung und Bank, „Vertrauensbruch“ heißt das beim Uni-Rektor: Weiss erfuhr vom vollzogenen Deal aus der Zeitung.

Das Tauziehen um die Immobilie im Stadtzentrum wird in Leipzig uneinheitlich beurteilt. Die Leipziger Bürger sind dem einzigen Wolkenkratzer ihrer Heimatstadt in einer Art Haßliebe verbunden. Das spitze Konstrukt, das aussieht, als bestünde es nur aus Wellblech, nennen die Älteren „Walters Weisheitszahn“. Um dieses Symbol nahe der ehemaligen Karl- Marx-Universität zu errichten, ließ Ulbricht 1968 die alte Universitätskirche sprengen. Das nahmen viele Leipziger übel. Heute ziert der Uni-Zahn jedoch die Titelblätter der Reiseführer.

Auch Mitarbeiter und Professoren haben ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem Arbeitsplatz hoch über der Stadt. Die Akademiker fluchen, wenn sie wegen der überlasteten und nur teilweise modernisierten Lifte eine Viertelstunde auf die Fahrt in den 29. Stock warten müssen. Die großen Büros finden jedoch gerade bei Kollegen mit Westerfahrung Anklang. Mehr noch als das Lehrpersonal schätzen die Studierenden ihren „Uni- Riesen“. Nahezu die gesamte Verwaltung der Hochschule ist in einem Gebäude zentriert, und das liegt gut erreichbar in der Stadtmitte, genau neben Hörsälen und Seminarräumen. Allen ist klar: Das Hochhaus muß dringend saniert werden. Die Kosten schätzt das sächsische Finanzministerium auf 40 Millionen DM.

Diese Aufwendung würde das Land gerne der Depfa-Bank überlassen. Rektor Weiss warnt: „Eine spätere Anmietung des Uni- Turms wird teuer!“ Sachsens Bildungsminister Hans-Joachim Meyer verweist auf einen nahen Neubau, doch schon jetzt ist klar, daß dieses „geisteswissenschaftliche Zentrum“ nicht genug Kapazitäten für die expandierende Uni bietet. Fraglich, ob die Depfa-Banker aus Wiesbaden überhaupt mit anderen Mietern für ihr Hochhaus rechnen. Büroräume sind in Leipzig auf Jahre hinaus im Übermaß vorhanden, die Preise sind niedrig, der Leerstand der höchste in der ganzen Bundesrepublik. Außerdem sieht der Bebauungsplan der Stadt Leipzig das Areal zwischen Oper, Gewandhaus und Universitätshochhaus als „Bannmeile für Musik, Kunst und Wissenschaft“ vor.

Hinter der Frage, wem das ehemals volkseigene Grundstück des Uni-Riesen gehört, stehen ganz andere Interessen. Bekommt die Traditionsuniversität Leipzig ihr altes Körperschaftsvermögen zurück, oder gehören die ehemaligen Schenkungen von Bürgern der Messestadt dem Land Sachsen? Hier geht es um wertvolle Grundstücke und Immobilien in der Innenstadt, in anderen Stadtteilen und sogar außerhalb Leipzigs. Cornelius Weiss will mit diesem Kapital wirtschaften. „Damit können wir Stipendien bezahlen und Forschung finanzieren, für die das Land kein Geld zur Verfügung hat.“

Ein solch hehres Ansinnen kann Bildungsminister Meyer nicht erkennen. Er spricht von „Wettbewerbsverzerrung“. Das mag der Rektor nicht gelten lassen und verweist auf westdeutsche Unis: „Die TU München betreibt sogar eine Brauerei.“

Der streitbare Weiss wuchert geschickt mit dem Pfund der unklaren Eigentumsverhältnisse beim Grundstück des Hochhauses. Die gestern nachmittag noch unklare Entscheidung des Gerichts klärt dabei lediglich die Verhandlungsbasis. Minister Meyer hat bereits die Garantie der Grundstücke innerhalb des Altstadtrings angeboten. Da wird er aber noch draufsatteln müssen.