Heimat, Version Ost

■ Nach zwanzig Jahren: Der letzte Teil von Wolfgang Koepps Dokumentation "Wittstock, Wittstock" im Forum

Das erste Bild zeigt drei Frauen: Elsbeth, Renate, Edith. Sie posieren ein wenig verschämt vor der alten Burgmauer in Wittstock an der Dosse. „Wittstock, Wittstock“, sagt eine, als wäre es eine flüchtige Zauberformel. Davon, vom Alltag und vom Zauber, erzählen die Wittstock-Filme von Volker Koepp seit gut zwanzig Jahren. 1974 drehte er dort zum ersten Mal mit Renate, Edith und Elsbeth. Dazwischen ein halbes Leben und die Wende.

Bis 1990 arbeiteten die drei im Textilkombinat „Ernst Lücke“, dessen Entwicklung es zu dokumentieren galt. Die Wittstock- Filme lagen auf der kulturpolitischen Linie der SED, weil sie Arbeitsalltag zeigten – und unterliefen sie, weil sie unverstellte Augenblicke sozialer Wirklichkeit einfingen. Die Pläne funktionierten nicht, die Direktoren waren unfähig, die drei Frauen resigniert und kamen doch nicht los, nicht vom Werk, nicht von Wittstock. Zum heimlichen Star der Filme wurde Elsbeth: ein kokettes Mädchen mit rebellischen Posen und ironischem Lächeln, das von Wünschen redete. Einmal Urlaub in Bulgarien machen. Und keinen Mann aus Wittstock heiraten, wegen dem Suff und der Schläge.

In seinen besten Augenblicken sahen die Filme aus wie eine Erzählung: verdichtete kleine Geschichten über gewöhnliche Leute. „Heimat“, Version Ost. Das glückte, weil Koepp seinen Heldinnen in Augenhöhe entgegentrat, nichts beweisen wollte und gelten ließ, was sie taten. Als Edith, stets renitent, 1990 als eine der ersten entlassen wird, wartet Koepp mit der Kamera am Werkstor auf sie. Sie schaut ein wenig nervös, dann sagt sie zu Koepp, zu uns: „Kannste ma Pause machen.“ Dann wird die Leinwand schwarz. Eine raffinierte Szene: Die Ellipse zeigt, was nicht gezeigt werden kann, weil es zu intim ist. Und wir sehen, daß dies auch Ediths Film ist, in dem sie Regieanweisungen geben kann.

Mit der Wende ist die Industrie verschwunden: Renate, früher Leiterin im Kombinat, ist jetzt Zimmermädchen. Edith, die immer in Wittstock bleiben wollte, ist nach Schwaben gezogen. Elsbeth sortiert, ein paar Stunden in der Woche, im Supermarkt Tiefkühlkost. 1989 hatte man sich das anders vorstellt. Aber man kann nicht nur die guten Seiten haben wollen, sagt Edith.

Die vielleicht schönste Szene steht am Ende. Ein Gespräch (nun ja, Gespräch) mit dem Ortskneipier 1996. Anfang 1974 saß sein Vater am Stammtisch, nun schaut dort seine Mutter stumm in die Kamera. „War die Kneipe immer Privatbesitz?“ fragt Koepp den Wirt. Pause. Ja, immer Privatbesitz, sagt der Wirt. Pause. Auch zu DDR- Zeiten? Pause. Ja, auch zu DDR- Zeiten. Pause. Zäh tropfen die Worte, und die Zeit steht still. Fahl fällt Licht durch die Fenster, in den Lichtstrahlen tanzen die Staubkörnchen. Ein Stilleben, schön, starr und wie gemalt. Am Nebentisch prostet man sich aus Schnapsflaschen zu. Vielleicht wird dieser Ort nach der DDR auch die Marktwirtschaft überstehen. Stefan Reinecke

„Wittstock“. D 1997, 117 Min., Regie: Wolfgang Koepp

Heute: 11 Uhr Kino 7 im Zoo-Palast; 16.30 Uhr Delphi; 22.2.: 12.30 Uhr Arsenal; 19 Uhr Babylon im Zeughaus; 23.2.: 19.30 Uhr Akademie der Künste