Nacktheit als Bewußtseinszustand

Weniger HipHop, mehr Mondlicht, noch mehr Selbstbewußtsein: Luscious Jackson, die New Yorker „Daughters of Kaos“, sind im amerikanischen Barock angekommen. Die Frauenbasketball-Profiliga unterstützen sie deswegen erst recht  ■ Von Thomas Winkler

„Wearing nothing is divine, naked is a state of mind, I take things off to clear my head, to say the things I haven't said“, singt da diese Stimme, beschwört die Reinheit eines Augenblicks. Die Musik aber behauptet gerade das Gegenteil. Um die Stimme, die sich an der Schönheit des Maskenlosen ergötzt, schwirren andere Stimmen, lösen sich ab und verlieren sich in einem Geflecht aus Drums und Percussions, leichten Keyboardtupfern, klitzekleinen Gitarrenlicks und unaufdringlichem Bass, dort schwingt noch etwas nach, hier noch ein kleines Vibrieren. Willkommen im Barock.

„Wir wollten was anderes machen“, erzählt Trommlerin Kate Schellenbach über „Fever In Fever Out“, die neue Platte ihrer Band Luscious Jackson, „wir wollten es... ja, nicht gerade dekadent, aber doch ein wenig geheimnisvoll, ein bißchen gefühliger.“ Aus den vier Studentinnen, die sich vor vier Jahren auf ihrem Debüt „In The Search of Manny“ per Songtitel zu „Daughters of the Kaos“ erklärten, sind erwachsene Frauen geworden.

Damals ließen die vier den Sampler schleifen wie einen rostigen Opel Kadett und stilisierten sich in lakonisch hingeworfenen Raps zu coolen Großstädterinnen. Bis auf Keyboarderin Vivian Trimble waren alle in New York aufgewachsen, trieben sich als Jugendliche in der Danceteria herum, sahen die Bad Brains, Clash, die Specials, waren mitten im abhebenden HipHop und teilten sich die Zeit im Sandkasten mit Ad Rock und Mike D, die später als Beastie Boys Bierbüchsen im Dutzend köpfen sollten. „Wir haben damals eine Menge großartiger Bands gesehen“, so Schellenbach, „das hatte viel zu tun mit den öffentlichen Schulen, auf die wir gingen, es war einfach Partymusik ohne große Inhalte, ein Spielen mit Wörtern und Breakbeats. Die coolen Kids fuhren alle auf HipHop ab, und so haben auch wir die Reime gelernt. Es gab Breakdance und Graffitis. Es war sehr New York.“

Mit 15 wurde Schellenbach die Trommlerin der Young Aborigines, nur um die wieder zu verlassen, als sie unter dem Namen Beastie Boys und mit Hilfe des Produzenten Rick Rubin drohten, berühmt zu werden. „Ich wollte mir nicht an den Schwanz fassen“, sagte sie später. Man schied im Streit, aber aus den zwischenzeitlich verabscheuten Sexisten sind inzwischen wieder die guten Freunde von damals geworden. Die Platten von Luscious Jackson erscheinen auf Grand Royal, dem Label der Beasties, so 1994 auch „Natural Ingredients“, auf dem sie im „City Song“ ihrem New York ein Denkmal setzten.

Die beiden ersten Platten waren so widersprüchlich wie die Stadt, in der sie entstanden waren, so funkig, so hektisch und dabei doch so cool. Gesampelt wurde Neil Young, aber auch Sirenen, Autoalarmanlagen, Straßenlärm. „In New York“, sagt Schellenbach, „ist es niemals ruhig, in gewisser Weise war das für uns organisch.“

Auf „Fever“ sind nur noch Reste dieser Arbeitsweise zu finden. „Wir waren ermüdet vom Sampling“, sagt Schellenbach heute, und Bassistin Jill Cunniff fügt hinzu: „Es ist hirnlos, zwei oder drei Jahre auf Tour zu sein, zurückzukommen und den Sampler anzuwerfen. Wir wollten live aufnehmen.“

Hier nun Überraschungsauftritt Daniel Lanois, der von der Plattenfirma vorgeschlagen wurde. Der in New Orleans lebende Kanadier hatte bisher Rockmonster wie U2, Peter Gabriel oder Bob Dylan produziert. Nicht unbedingt die Musik, die die vier hören, „aber wir kamen gut mit ihm klar“. Lanois machte den großen Bruder, „und wir wußten, daß Daniel ein Experte dafür ist, Umstände zu schaffen und den Moment einzufangen“. Was er dann auch tat.

„Wir mögen keine grellen Lichter“, erzählt Schellenbach von den Sessions im Haus von Lanois in New Orleans, „wir mögen nette Gerüche, Mondlicht, Kerzen. Und das Studio sieht wie seine Wohnung aus. Du hörst den Raum, die Vibrationen der Wand oder vielleicht sogar die Person, die dahinter spricht.“ Lanois brühte kannenweise Pfefferminztee, und er brachte mit Emmylou Harris, die ein paar backing vocals beisteuerte, noch jemanden dazu, den man eigentlich nicht im Luscious- Umfeld vermuten würde.

Die Erfahrung ihrer Auftritte, die sie zur handgemachten Musik zurückbekehrt hat, teilen sie mit vielen anderen aus der Branche. „Viele HipHop-Acts bauen jetzt Live-Elemente in ihre Shows ein“, meint Schellenbach, und Cunniff zählt die Fugees, die Digable Planets oder Spearhead auf, die einen DJ bestenfalls noch unterstützend dabeihaben. „Ein neues Level, auf das HipHop gehoben wird“, ortet Schellenbach bei diesen Bands, „ein DAT-Rekorder schwitzt nicht.“ Und Cunniff ergänzt: „Musik ist Austausch zwischen Band und dem Publikum, das mitgeht und den Rhythmus beeinflußt. Erst dann wird es eine Erfahrung. Geh in eine Kirche und sieh dir das an. So was kann man nicht erleben, wenn man zu Hause eine Gospel- Platte auflegt.“

Wenn Luscious Jackson früher einmal ein modischer Ikea-Läufer waren, sind sie auf „Fever“ zum monströsen Perserteppich geworden. Man möchte versinken in all diesen kleinen, warmen Geräuschen, die sich an ihrer eigenen Natürlichkeit zu freuen scheinen, diesen vielen kleinen, warmen Melodien, von denen man gar nicht genug kriegen kann. Immerhin taucht als eines der wenigen Samples das Tuten und Rabauken eines Straßenumzugs auf, der vor Lanois' Haus, das mitten im French Quarter von New Orleans liegt, entlangzog. „Aber Laute ändern sich“, zuckt Cunniff mit den Schultern, „und wir waren niemals eine HipHop-Band.“

Der frühe und doch relativ große Erfolg der Jacksons beruhte nicht nur auf jener bis dato ungehörten Melange, die sie aus New York herausfilterten. Nicht zuletzt paßten sie nur allzugut ins damalige Saisonthema, nenn es „Rrriot Girls“, nenn es „Women in Rock“. In „Daughters of the Kaos“ hantierte Cunniff mit einer Knarre und zeigte dem Kerl, wie es gemacht wird. In Interviews ließ sie dann schon mal Sätze fallen wie: „Es gibt Tonnen von Leuten, die ich wegblasen möchte.“ Kurz darauf sang sie: „Hey, energy sucker, I'm a goddess, not your mother“. Aber „gender is not a genre“, wie schon L7 verlauten ließen. Die Zeiten ändern sich, Menschen ändern sich – weshalb Luscious Jackson ganz entspannt bei „Liebe und Beziehungen“ einkehren konnten. Gerade mal ein als politisch lesbarer Song findet sich auf „Fever“. „Ich will von Musik unterhalten werden“, sagt Schellenbach, „Musik ist eine Flucht. Joni Mitchell hat mich persönlich weitergebracht als The Clash.“

Luscious Jackson gehören zur ersten Generation von Frauen im Musikgeschäft, die ihr Dortsein als selbstverständlich begriffen haben, die profitiert haben von ihren Vorgängerinnen wie der verehrten Debbie Harry. „Ich denke, für uns in Amerika ist das Thema schon wesentlich weniger wichtig“, doziert Schellenbach, „wir reden in Interviews nur noch selten darüber. Es ist einfach normaler geworden, auch in der Industrie selbst hat sich da einiges gewandelt, es gibt zwar erst eine Präsidentin einer Major- Plattenfirma, aber immer mehr Frauen in höheren Positionen, es gibt Journalistinnen, sogar ein paar Technikerinnen. Es gibt mehr Möglichkeiten für Frauen in diesen traditionell männlichen Bereichen.“

Aus denselben Gründen wird die neue Frauenbasketball-Profiliga in den Staaten begrüßt. „Ich hoffe sehr, das wird erfolgreich. Es ist gut für Frauen, daß auch sie nach dem College ihre Karriere fortsetzen können, daß sie überhaupt mehr Möglichkeiten haben.“ Schließlich hat man sich damals nach einem Basketballspieler benannt.

Dieser Luke Jackson spielte in den 60ern und 70ern zusammen mit Wilt Chamberlain für die Philadelphia 76ers. Cunniff fand den Namen in einem Statistikbuch ihres Bruders, fügte Jacksons Spitznamen „Lucious“ ein „s“ hinzu, und selbst der New-York-Knicks- Fan Schellenbach war einverstanden.

„Luscious“ bedeutet soviel wie köstlich, lecker oder üppig. Was sie sich damals vorgenommen haben, ist spätestens mit „Fever In Fever Out“ vollständig eingelöst.

Luscious Jackson: „Fever In Fever Out“ (Grand Royal/ Spin/ EMI)