Berlin – schauerromantisch

■ Zerstörung und Kontinuität, Nation und Zerfall: Daniel Eisenbergs „Persistence“ (Forum) ist eine assoziative Montage von alten und neuen Bildern aus Berlin

Zur Zeit hält sich mit dem Literaturhistoriker Stephen Greenblatt ein Exponent jener magischen Geschichtsschreibung in Berlin auf, die als „New Historicism“ wie ein leuchtender Pfad aus der festgefahrenen Tradition herausweisen soll. Gefällig ist vor allem der Charme des Anekdotischen, der speziell Greenblatts Texte auszeichnet und den er nicht zuletzt von Walter Benjamin geerbt hat. Diese Operationsweise enthebt den Historiker des längst verschrienen „linearen Erzählens“; man kann statt dessen kreuzweise Ähnlichkeiten aufsuchen zwischen zunächst scheinbar völlig disparaten Dingen. Zusammenhänge entstehen eher assoziativ, nicht im Argument.

Der Filmemacher Daniel Eisenberg, der selbst inzwischen in Chicago lehrt, entstammt ähnlichen akademischen Zusammenhängen wie Greenblatt und entsprechend verschachtelt sind seine Filme gebaut. Der 1954 in Israel geborene Eisenberg fiel hier vor allem durch seinen Film „Cooperation of parts“ auf, in dem er die Geschichte seiner von den Nazis verfolgten Mutter mehr evoziert als nachzeichnet, unter anderem anhand von seltsamen Sprichwörtern wie „Der längste Weg führt von der Mutter zur Haustür.“

Sein neuer Film, „Persistence“ entstand während eines DAAD- Stipendiums in Berlin und verbindet Aufnahmen, die 1945–46 von US-Soldaten aus Bomberflugzeugen gemacht wurden, Bilder aus Rosselinis „Deutschland im Jahre Null“ mit aktuellen Aufnahmen aus Berliner Parks, von Baustellen an der Synagoge in der Oranienburger Straße, einer Kirchenruine im Osten, die mit einem Rundgang durch die Galerie der Romantik kontrastiert werden. Zwischentitel scheuen sich nicht, „Persistence I“ oder „Absence: the Jews“ oder „Prospects III“ zu heißen, und unter diesen Titeln mischen sich die Zeiten. Es kommt vor, daß die Aufnahmen von 1945 stammen und mit einem Kommentar zum Putschversuch in Moskau 1991 unterlegt sind. Der Zusammenhang? Zerstörung und Kontinuität, Beobachten und Überwachen, Nation und Zerfall... Dann wieder zu den Stasi-Akten: Ewig klingelt das Telefon in der Normannenstraße, wie ein Hilferuf aus großer Ferne, friedlich gehen die Leute im Park spazieren, während der Off-Kommentar sich Sorgen um Gorbatschow macht.

Das ist überhaupt der Grundgestus dieser assoziativen Montage: Was scheinbar harmlos und unzusammenhängend vor sich hinwirkt, steht in Wirklichkeit in einer bedrohlichen Linie der Verschleierung, Verwischung von Spuren, der Vernichtung. Das Schlußbild ist die Marx-Engels-Statue mit dem Graffito: „Wir sind unschuldig“ und auf der Rückseite „Beim nächsten Mal wird alles anders.“ Dazu hört man permanent einen schrillen, sirenenartigen Ton. Plötzlich wird zum Gefahrenzeichen, zur Drohung, was einmal Ausdruck einer höchst zivilen Selbstironie war; es kommt eben auf die Montage an. Ich stelle mir vor, wie Studenten in Chicago Berlin durch diesen Film sehen lernen: als schauerromantische Landschaft in Dauertrümmern, deren Parks eine Lüge sind. Mariam Niroumand

„Persistence – Ausdauer“. Deutschland 1997. 86 Min. Regie: Daniel Eisenberg