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Klassik und Expansion

■ Ballett oder Tanz: Was der Berliner Szene fehlt, ist eine Vorstellung von der Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen – eine Diskussion im Roten Salon

Utopien von der Grenzüberwindung zwischen Ballett und modernem Tanz („Wir sitzen alle in einem Boot“) und Klischees („Der Tänzer kriegt sein Maul nicht auf“) erwiesen sich beide als hartnäckig in der 17. Runde des Kultursalons, zu der Alice Ströwer von Bündnis 90/Die Grünen eingeladen hatte. Das Gespenst des Sparzwangs verhärtet die Fronten zwischen etablierten Häusern und der freien Szene. Das bekam besonders Nele Hertling zu spüren, die sich als Intendantin des Hebbel-Theaters schon seit Jahren für den Dialog zwischen Klassik und Moderne und für die Zusammenarbeit von differenzierter Tradition und neuen Sprachen einsetzt.

Doch das Tanzhaus, das ihr als Instrument für die Förderung der Eigenständigkeit der bewegten Kunst vorschwebt, hat in den Ohren des Ballettensembles der Staatsoper einen mißtönenden Beiklang erhalten. Denn plötzlich wird ein Tanzhaus als Veranstaltung-GmbH und Alternative zu den drei bestehenden Ballettensembles der Operhäuser gehandelt. Und wie oft, bitte schön, darf dort noch Dornröschen auf den wachküssenden Prinzen warten, fragen die klassischen Tänzer, die Angst vor der Streichung ihrer Stellen haben.

Die politische Umfunktionierung der Vision Tanzhaus ist hinterhältig. Die Initiatoren der Idee, zu denen auch Marc Jonkers (Direktor des Tanztheaters der Komischen Oper), Zebu Kluth (Leiter des Theaters am Halleschen Ufer) oder Leonore Ickstadt (Tanztangente) gehören, meinten und meinen damit nicht nur eine kleine Bühne für das Expansionsbedürfnis der freien Szene. „Versäumnisse der Geschichte kann man nicht wegreden“, beharrt Nele Hertling, die damit die noch immer fehlenden professionellen Ausbildungsmöglichkeiten außerhalb der Klassik ankreidet.

Außerdem sollte das Tanzhaus als internationale Gastspielbühne endlich die Marginalisierung einer Szene abbauen, die in Deutschland noch immer zwischen die Sparten Musik und Theater rutscht. Die inhaltliche Opposition Klassik versus Moderne verhärtet die Mißachtung des Tanzes, teilt sich doch das Publikum in gefühlvolle Ballettomanen, die einer über Jahrhunderte verfeinerten Körpertechnik huldigen, und einem angestrengten Avantgardeklub, der nicht selten in Philosophie und Gesellschaftswissenschaften nach intellektuellem Begleitschutz für die Kunst der Körper sucht. Beides befördert nicht eben das Verständnis für die Semantik des Tanzes. In keiner anderen Kunstsparte fällt die Trennung zwischen Klassik und Moderne so sehr mit der Grenze zwischen Off-Szene und großen Häusern in eins.

Georg Quander, der als Intendant der Staatsoper auf dem Podium zunehmend die Rolle annahm, das Bestehende zu verteidigen, sah in einem Tanzhaus gar die Bedrohung der funktionierenden Strukturen des Balletts. Die freie Szene versuche da, ihre Probleme auf Kosten einer klassischen Tradition zu lösen. Zwar unterstützt er moralisch ein Tanzhaus, das man zusätzlich zu den Opernensembles realisiere; an seine Finanzierbarkeit aber glaubt er nicht.

Alice Ströver, die sich mit der Einladung auf das Thema Tanz im Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses am Montag vorbereiten wollte, nahm aus der Debatte die Notwendigkeit eines Moratoriums mit. Die Probleme des Tanzes können auf der Strukturebene allein nicht gelöst werden; wenn keine inhaltliche Utopie die Tanzszene zusammenbringt, droht eine inkompetente Politik die Konkurrenz – freie Szene gegen Ballette – auf Kosten aller zu entscheiden. Katrin Bettina Müller

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