Kein Sex im Weltall

■ Wenn Bremer Firmen im Kino werben, bestechen sie durch minimalistische und glasklare Botschaften

Sphärische Techno-Klänge in der Raumkapsel. Ein Mann und eine Frau schweben durch die Schwerelosigkeit. Berühren sich, ziehen sich lasziv aus und knöpfen ihre Lee-Jeanshosen aneinander. Dieser Kino-Spot zeigt: Die heutige Werbung für große Marken läuft völlig am Markt vorbei. Denn wer interessiert sich schon ernsthaft für Sex und dazu noch im Weltall? Mal ehrlich: Wer Werbung macht, der konsultiert doch die Marktlage. Und die besagt: Im internationalen Vergleich gehen Menschen sowieso nur noch durchschnittlich einmal die Woche mit einem anderen Menschen in die Koje – und dabei liegt die Betonung auch nicht auf Weltall, sondern auf Koje.

Liebe Werbeyuppies, taucht ihr denn nie in der richtigen Szene ab? In der Provinz spielt die Musik. Da läuft die Werbung, die sich wirklich am Markt orientiert. Werbung, die ganz anders ist – irgendwie bodenständiger. Und genau das trifft den Geschmack der Zeit. Statt KinobesucherInnen mit einem Spot zu Sex im Weltall oder zu Orgasmen im Restaurant (Frau ißt Strothmann-Joghurt und erreicht den Höhepunkt) zu vergraulen, sollten die Werbefuzzis lieber mal zum Crash-Kurs in Sachen Marktfähigkeit in die Provinzkinos kommen. Damit ihnen endlich sämtliche Flausen aus dem Kopf getrieben werden.

Denn was die Werbespots für die Kneipe um die Ecke, den Bioladen und die Karate-Schule zu bieten haben, ist lehrreich und zugleich sehenswert. Keine sexistischen Anspielungen nerven da, kein Techno dudelt, kein abgeschmackter Witz nervt. Nein, die Regio-Spots bestechen vor allem durch eines: Klarheit. Zum Beispiel der „da Vinci“-Spot. Geradezu minimalistisch umreißt der Off-Sprecher in wenigen Sekunden die nahezu verblüffend einfach Spotaussage: „Nicht zu glauben, doch zu glauben. Restaurant da Vinci.“ Das ist wirklich unglaublich. So unverblümt wie auch die zum Text gehörenden Bilder: Eine Postkarte á la „Viele Grüße aus dem Spessart“ gewährt tiefe Einblicke in das Lokal. Essende Menschen sitzen da mit hochroten Wangen am Tisch. Die Aussage ist ganz leicht zu erraten: Die da Vincis heizen wenigstens ordentlich und kochen dazu noch relativ warm. Zwei Kellner nähern sich dem Tisch. Aussage: Das Restaurant hat keine Selbstbedienung, die Gäste werden am Tisch freundlich beraten. Das ist doch irgendwie ehrlich und deutlich zugleich.

Da wird nicht schöngezeichnet, geschminkt oder Sex versprochen, wenn mensch die unbestechliche Lee-Jeans trägt. Da wird die ungeschönte Realität gezeigt. Rauchschwaden ziehen auf der Kinoleinwand vorbei. Es macht Wumm, Wumm. So laut also wird die Discomusik im „Village“ sein. Au-thentisch schwofen dort Menschen über 30 mit Bärten und/oder Dauerwellen auf der Tanzfläche. Der Spot bleibt auf dem Boden der Tatsachen, statt in die unendlichen Weiten des Weltraumes abzuschweifen. Und kommt nach den neorealistischen Discobildern zu dem einfachen Schluß: „Village – der angesagteste Treffpunkt in der Stadt“. Nein, in den Provinzspots werden keine hohlen Versprechungen gemacht.

Diese Klarheit haben die KinobesucherInnen in der Region ganz allein Agir zu verdanken, der Firma aus Hannover, die diese Spots seit 50 Jahren produziert. Aber Agir läßt sich nicht gerne in die Karten schauen, geschweige denn Geheimrezepte verrraten. Schließlich arbeiten dort Profis, und die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht. Gott sei Dank hat sich Agir bisher nicht von den Mitbewerbern aus Frankfurt, Hamburg und Berlin beeinflussen lassen. „Die Kunden wollen ihre Spots nicht so modern“, weiß Agir-Geschäftsführerin Annette Mischke. Schade nur, daß sich die Bremer Mittelständler von dieser stümperhaften Agir-Konkurrenz immer mehr einlullen lassen. Immer weniger Firmen lassen sich von Agir einen Spot machen. Vorbei die Zeiten, in denen noch frischverliebte Paare durch die Sögestraße tobten und sich wie wild mit Parfüm besprühten.

Aber der Bremer Geschäftsführer der Juwelierfirma Grüttert, Volker Schmidt, findet das „ehrlich gesagt bieder-grausam“. Kein Wunder, ist er doch längst von der Modernitäts-Krankheit befallen: „Wir fallen mit unseren Filmen aus Bremen irgendwie gegen die tollen Marken-Spots ab“, sagt er.

Aber, aber, Herr Schmidt. Wer wird sich denn von Werbe-Yuppies beeindrucken lassen. Die haben doch gar keine Ahnung. Oder wollen Sie etwa damit sagen, daß Sie mehr als einmal die Woche Sex haben und dazu sogar noch im schwerelosen Raum gerne Liebe machen? Doch auch Herr Schmidt denkt nämlich gerne an Zeiten zurück, als Grüttert kleine Strichmännchen über die Leinwände flimmern und reimen ließ: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, daß er das richtge Ringlein findet“. Na also. Wir wollen doch hübsch bei der Tradition bleiben.

Katja Ubben