„Bäume haben auch Zukunft“

Schweigemarsch für saubere Luft im Erzgebirge. Sächsische Landesregierung will einen Stromvertrag mit Tschechien abschließen  ■ Aus Altenberg Detlef Krell

Kurdirektor Friedemann Trittmacher dirigiert die Fernsehkameras vor den Skihang. Verlassen liegt heute die Piste. Mit den letzten Schneefeldern schmilzt im Wintersportzentrum Altenberg die Hauptsaison ihrem Ende entgegen. Die Frühlingssonne scheint auf dichten, immer grünen Wald. Das müsse einmal mehr gesagt und vorgezeigt werden: Im Erzgebirge stünden nicht nur diese toten Strünke, wie sie von Demonstranten vornweg getragen werden. „Für Bäume gibt es hier auch Zukunft“, stellt Trittmacher klar. Altenberg besuchen jährlich Tausende Urlauber. „Fremdenverkehr ist doch unsere einzige wirtschaftliche Chance.“

Deshalb habe die Stadtverwaltung zunächst gezögert, ehe sie sich dennoch hinter das Motto des Schweigemarsches stellte: Saubere Luft im Erzgebirge. Gegen das Waldsterben im böhmischen Nebel. Mehrere hundert Erzgebirgler sind gekommen, um auf die katastrophale Umweltsituation aufmerksam zu machen. Der vergangene Winter löste nach Einschätzung des sächsischen Landwirtschaftsministeriums das schlimmste Waldsterben seit 15 Jahren aus. Mehrfach wurde hier der Grenzwert für Schwefeldioxidemissionen um das Fünffache überschritten. Hauptverursacher sind, neben den Kachelöfen in den erzgebirgischen Wohnhäusern und dem Autoverkehr, die Braunkohlekraftwerke im böhmischen Becken, die immer noch ohne Filter betrieben werden.

Iris Rumpelt von der Bürgerinitiative „Gesunder Wald“ will „die Politiker in Bewegung bringen, damit hier endlich gehandelt wird“. Im Dezember, als der Smog im Erzgebirge wie Säure kratzte, war sie mit einer Mitstreiterin drüben im Kraftwerk Tušimice bei Usti nad Lebem in Tschechien. Die beiden Frauen wurden in der Chefetage mit ihren Fragen höflich empfangen. Für die drei Tušimice- Meiler wie auch für einen Block in Ledvice bei Most hat der Energiekonzern CEZ Ausnahmegenehmigungen erteilt: Die Dreckschleudern heizen unsaniert bis Ende 1998. Tschechien braucht den Strom vor allem im Winter, denn viele Haushalte heizen mit Elektroöfen. Zudem pfeift ein beträchtlicher Teil der Heizenergie durch die Ritzen der Plattenbauten oder, mangels Temperaturregler, durch die geöffneten Fenster.

Vor Jahresende hat Sachsens Umweltminister Arnold Vaatz (CDU) vorgeschlagen, während der Winterspitzen die unsanierten tschechischen Kraftwerke durch deutschen Strom zu entlasten. Die Verhandlungen treten auf der Stelle. Als die CEZ ihrerseits anbot, bei Smog in Deutschland mit sauberem Strom aus Tschechien auszuhelfen, reagierte Dresden diplomatisch: Dieser Vorschlag werde grundsätzlich begrüßt, weil damit schließlich eine Wiederaufnahme der Verhandlungen verbunden sei. CEZ begründet seinen Stromdeal damit, daß die Region nicht allein unter den böhmischen Kraftwerken leide, sondern auch unter den deutschen und polnischen.

Eine Argumentation, die für das gesamte Dreiländereck Deutschland – Polen – Tschechien im großen und ganzen zutrifft, aber an der akuten Not des Erzgebirges vorbeigeht: Die Rauchfahnen aus den böhmischen Schloten drücken aus nächster Nähe auf den Erzgebirgskamm. In Sachsen werden die Kraftwerke Boxberg und Hagenwerder noch bis zum Ende dieses Jahres mit Sondergenehmigung betrieben. Boxberg wird in dieser Zeit modernisiert und mit einem 800-Megawatt-Block aufgerüstet. Hagenwerder wird abgeschaltet. Notstrom für Tschechien soll nur aus neuen oder umgerüsteten Kraftwerken fließen, so die übereinstimmende Aussage im Dresdner Umweltministerium und in der Veag, dem ostdeutschen Stromkonzern.

Unklar ist auch die Finanzierung des Stromexports. Sachsen spricht von 15 Pfennig pro Kilowattstunde, die subventioniert werden müßten; das wären Kosten um 60 Millionen Mark pro Heizperiode. Für die Veag ein lukratives Geschäft. Bonn soll sich an der Subventionierung beteiligen. Das Land, sagt Vaatz, sei „um fast keinen Preis gewillt, den Bund hier aus der Verantwortung zu lassen“. Der einzige Preis wäre die saubere Luft nächsten Winter: Scheitern solle das Projekt Notstrom am Geld nicht.