■ Der Berliner Neonazi, der am Sonntag bei Lauenburg auf zwei Polizisten schoß, war auf alles vorbereitet: Wer sich mit Kampfhund, Schrotflinte und haufenweise Munition ausrüstet, demonstriert, daß für ihn der Feind an jeder Ecke lauert
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Der Berliner Neonazi, der am Sonntag bei Lauenburg auf zwei Polizisten schoß, war auf alles vorbereitet: Wer sich mit Kampfhund, Schrotflinte und haufenweise Munition ausrüstet, demonstriert, daß für ihn der Feind an jeder Ecke lauert

Losballern, um die Angst zu besiegen

Geschossen habe er, sagte Kai Diesner bei seiner Vernehmung, weil er sich „vom Staat verfolgt“ fühle. Er hatte ein Monstrum von einer Waffe in der Hand. Mit einem abgesägten Schrotgewehr, einer Pump-Gun, feuerte er auf die beiden Polizisten. Einer von ihnen ist tot, der zweite wurde schwer verletzt. Die Beamten wollten ihn am Sonntag vormittag auf einem Rastplatz an der Autobahn A24 bei Lauenburg kontrollieren. Kai Diesner schoß sofort, ohne Vorwarnung. Er selbst war offenbar auf alles vorbereitet. Er trug eine kugelsichere Weste.

Rasch tauchte bei der in den Fall eingeschalteten Berliner Polizei der Verdacht auf, daß Kai Diesner am vergangenen Mittwoch auch auf den Buchhändler geschossen hat, der im Haus der PDS im Berliner Bezirk Marzahn seinen Laden betreibt. Mittlerweile hat sich der Verdacht erhärtet: Es wurde dieselbe Waffe benutzt.

Kai Diesner, 24, ist kein Unbekannter. Seit Jahren ist er Mitglied verschiedener Berliner neonazistischer Gruppierungen. Er fuhr mit Kampfhund, Pump-Gun und haufenweise Munition von Berln nach Norddeutschland. Wer sich so ausrüstet, demonstriert, daß der Feind hinter jeder Ecke lauern kann. Der Unterschied zwischen durchgeknallten rechtsextremistischen Attentätern und intellektuellen Drahtziehern der braunen Szene ist geringer, als die jeweiligen Taten suggerieren.

Natürlich belachen Salonfaschisten die nationalsozialistischen „Kameradschaftsführer“ in Brandenburg oder Neuheiden wie die „Artgemeinschaft“, ein paar verrückte im Nazisumpf, die die U-Boote der Wehrmacht noch unter der Antarktis vermuten, um im Endkampf auf der richtigen Seite einzugreifen. Auch unter den Freunden des „Ariertums“ gibt es einige wenige, die auf unbekannte Flugobjekte lauern, die der große Führer Adolf vor seinem persönlichen Abgang ins All beordert hat – bis zum Tag der Rache.

Menschen wie der Polizistenmörder aus Berlin oder der Nazikiller Thomas Lemke aus Gladbeck gibt es genug in der rechten Szene: potentielle Zeitbomben, die sich lange unauffällig verhalten, aber weltanschaulich auf die richtigen Feinde dressiert werden. Lemke schrieb aus dem Knast: „Töten ist eine böse Eigenschaft, die nur zur Arterhaltung oder zur Beseitigung minderwertigen Lebens angewandt werden sollte.“

Vorbilder liefen und laufen genug herum. Der Terrorist und Bombenleger Ekkehard Weil, ein enger Vertrauter des inhaftierten Berliner Neonazi-Führers Arnulf Priem, trieb sich Anfang der neunziger Jahre wochenlang im von Neonazis besetzten Haus in der Berliner Weitlingstraße herum. Dort verkehrte auch der Polizistenmörder Kai Diesner. Drahtzieher Weil ist unauffällig und nett – so lange, bis er eine Bombe wirft. Auch Weil fühlt sich ständig von finsteren Mächten, insbesondere von Geheimdiensten und Juden beobachtet. Und wer ihn näher kennt, der weiß, daß er einem großen endgültigen Knall nicht völlig abgeneigt ist. Irgendwann, das steht auf den Transparenten, die beim alljährlichen „Rudolf-Heß- Marsch“ gezeigt werden, kommt der „Tag der Rache“.

Nur das Gefühl zählt. Wer aufrichtiger Neonazi ist, will alles, was seiner Meinung nach nicht lebenswert ist, ausrotten. Wer aufrichtiger Rassist ist, muß andere „Rassen“ für minderwertig erachten. Der aufrichtige Antisemit – und alle Neonazis sind Antisemiten – muß an Verschwörungstheorien glauben. Und wer sein persönliches Lebensgefühl verknüpft mit den politischen Zielen, die in den rechtsextremistischen Gruppen gang und gäbe sind, der handelt irgendwann mal.

Wer sich ihm als Feind gegenüberstellt, ist relativ gleichgültig. Das kann ein Obdachloser sein, der nicht leistungswillig und damit nicht lebenswert ist, das kann ein Punk sein, der einfach anders ist, das kann ein politischer Gegner sein, der sich erdreistet, öffentlich gegen Rassismus aufzutreten, oder jemand, der als „unerwünschte Person“ definiert worden ist – etwa Einwanderer.

Attentäter und Bombenleger aus der Szene sind eigentlich immer Einzeltäter: Wer dem Verfolgungswahn nahe ist und prophylaktisch losballert, um seine Angst zu besiegen, neigt nicht zu gruppendynamisch wertvollem Verhalten. Aber gegen wen diese Leute agieren, das läßt sich nicht aus einer verkorksten Biographie oder einem aussichtslosen Lebensentwurf erklären. Wer der Feind ist, das hat ihnen jemand vorher erklärt. Burkhard Schröder