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Vergebliches Wiederholen

■ Herausgeputzt kommt Alfred Hitchcocks rätselhaftes Melodrama Vertigo in der rekonstruierten 70mm-Fassung erneut ins Kino

Es ist bestimmt nicht sein erfolgreichster Film. Denn bei Produktionskosten von nur 800.000 Dollar hat Psycho allein in den 60er Jahren 13 Millionen eingespielt. Auch das Drehbuch, basierend auf dem mäßigen Roman „D–entre les morts“ von Boileau/Narcejac, ist kaum so präzise wie jenes von Berüchtigt. Zweifellos ist Vertigo (1958) aber das rätselhafteste, unschlüssigste und zugleich radikalste Werk von Alfred Hitchcock.

Generationen von Filmforschern haben sich an Vertigo gemessen und dabei kleinste Details zum Sprechen gebracht. Nachdem der französische Filmregisseur Francois Truffaut seine „politiques des auteurs“ an Hitchcock erprobte, nahmen Filmforscher wie Donald Spoto und Robin Wood in den 70ern strukturalistisches Besteck zur Hilfe und Gilles Deleuze stellte 1983 Bezüge zum Jansenismus her. In den frühen 90er Jahren formulierte der slowenische Psychoanalytiker Slavoj Zizek dann Verbindungen zur Psychoanalyse Jacques Lacans – was heuer zum Sprungbrett für die Ausdeutung des Geschlechterverhältnisses in Vertigo genommen wird. Wenn nun Vertigo in einer rekonstruierten 70mm-Version erneut in die Kinos kommt, wird dieser Reigen vermutlich neu eröffnet und Hitchcocks Sadismus eine weitere Forscherschar verschleißen.

Es ist der offene Schluß, aber auch zahllose Fallen und Ungereimtheiten, mit denen sich der zweigeteilte Film immer wieder jeder kontingenten Analyse entzieht. So verfolgt der Privatdetektiv „Scottie“ Ferguson (James Stewart) eine Frau, die scheinbar unter unerklärlichen Trancen leidet. Mit den Augen Scotties sieht man Madeleine Elster (Kim Novak) in ein Hotelzimmer verschwinden. Als der Detektiv nach ihr fragt, versichert man ihm, daß niemand im besagten Zimmer war. Leidet auch Scottie unter Halluzinationen? Oder gar der Zuschauer?

Diese Szene – einer von Hitchcocks „Ice-Box-Talks“, die nach dem Kino für Gesprächsstoff am Kühlschrank sorgen sollen – wird an keiner Stelle sinnvoll aufgelöst. Und es ist nicht die einzige. Angesichts von Hitchcocks sprichwörtlichem Perfektionismus gibt die nach einem Schnitt fehlende Truhe im Museum ebenso Rätsel auf wie das Ausbleiben von Scotties Höhenangst nach dem Sturz der geliebten Madeleine vom Kirchturm.

Nach dem scheinbaren Freitod macht sich Scottie auf die Suche nach einer Widergängerin der Geliebten und findet diese in dem etwas ordinären Ladenmädchen Judy. Er verpaßt Judy neue Klamotten, neues Make-Up und eine neue Frisur, bis sie der aristokratischen Madeleine gleicht und sich Scottie endlich, eingefangen von einem berühmten spiralförmigen Kameraschwenk, zu einem langen Kuß überwindet. Doch obwohl Kopie und Original sich bis aufs Haar gleichen, kann doch nichts mehr so sein wie zuvor.

Ein wenig wiederholt auch die Geschichte der Restaurierung die Filmhandlung. Im Auftrag von Universal stöberten Robert Harris und James Katz das Original-Filmmaterial auf, das seit 17 Jahren in einem unterkühlten Lagerhaus vergammelte. Was die Filmbüchsen den Restauratoren dann offenbarten, waren nur vergilbte Reste, die in akribischer Kleinarbeit wiederhergestellt wurden – so wie Scottie in Vertigo das Original wiederherstellt. Da aber Hitchcocks Kameramann mit unrealistischen Tönungen hantierte, die bei den gängigen Kinokopien noch mysteriös nachdunkelten, kommt die rekonstruierte 70mm-Fassung möglicherweise dem Original näher. Darüber verliert Vertigo allerdings etwas an Anziehung. Volker Marquardt Savoy

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