Die Deutsche Bahn AG floriert. Der scheidende Vorstandschef Heinz Dürr strahlte: 30 Milliarden Umsatz, 700 Millionen Mark Gewinn, 25.000 Stellen weniger im letzten Jahr. Aber nur in einen Teil der insgesamt 40.000 Kilometer Streckennetz wird investiert. 5.000 Kilometer Nebenstrecken droht Stillegung Von Gudrun Giese

Kein schöner Zug der Bahn

Ein glänzendes Ergebnis präsentierte der scheidende Vorstandsvorsitzende Heinz Dürr für die seit 1994 privatisierte Deutsche Bahn AG: Mehr als 30 Milliarden Mark Umsatz und vor Steuern 700 Millionen Gewinn, 16 Prozent mehr Fahrgäste und ein Umsatzplus von 6 Prozent gegenüber dem letzten Jahr als Bundesbahn, 1993.

Doch Dürr konnte nicht nur glänzen. Zwar bestritt er, ebenso wie gleichzeitg Staatssekretär Johannes Nitsch in einer aktuellen Stunde im Bundestag, Stillegungspläne für 10.000 Kilometer unrentable Nahverkehrsstrecken. Doch räumte Dürr ein, daß für 5.000 Kilometer „Schwachlaststrecken“ gemeinsam mit den Bundesländern überlegt werden müsse, ob sich der Erhaltungsaufwand noch lohne. Für weitere 7.000 Kilometer Streckennetz solle ebenfalls mit den für den Regionalverkehr zuständigen Ländern über Verbesserungen nachgedacht werden.

Dürr, der als Vorstandsvorsitzender zum 9. Juli vom derzeitigen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Kanzlerfreund Johannes Ludewig abgelöst wird, machte deutlich, daß die Bahn AG vor allem auf die sogenannten Haupttrassen setzt: In 28.000 Kilometer des Netzes werde voll investiert. Immerhin hat die Bahn im vergangenen Jahr auch nahezu 30 Prozent ihres Umsatzes im Fernpersonenverkehr mit 60 ICEs eingefahren.

Schlechter sah es dagegen beim Güterverkehr und dort insbesondere beim Stückgutverkehr aus, der Umsatz ging von 7,6 auf 7,1 Milliarden zurück. Und gegen eine besondere Art der Stückgutverkehrs regte sich Protest: Acht Mitglieder der Umweltorganisation Robin Wood demonstrierten gegen die bevorstehenden „Castor“- Transporte. Sie wurden festgenommen.

Erfolgreich zeigte sich die Bahn AG auch beim — wie die Eisenbahnergewerkschaft betont: sozialverträglichen — Personalabbau: rund 25.000 Beschäftigte verloren binnen Jahresfrist ihren Job. Derzeit hat der Konzern noch knapp 290.000 Mitarbeiter. An die Börse wolle der Gesamtkonzern in absehbarer Zeit nicht, sagte Dürr auf entsprechende Nachfrage. Allerdings sei es vorstellbar, daß einzelne Teile des Unternehmens den Weg wählen würden, denn „der Kapitalbedarf ist enorm“. Gleichwohl seien, so Dürr, 16 Milliarden Mark seit der Bahnreform an Steuermitteln gespart worden – gemessen am Subventionsbedarf der Bahn vor erfolgter Reform.

Einen wichtigen Teil der Bilanz bildet der Schienennahverkehr: Er trug mit 11 Milliarden Mark und damit gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent mehr zum Konzernumsatz bei. Aber gerade diesen Sektor hat die Bahn in weiten Teilen vernachlässigt.

Denn die Regionalisierung, die im Zusammenhang mit der Bahnreform beschlossen wurde und zum Jahresbeginn 1996 in Kraft trat, förderte bisher vor allem eines zutage: Der Personennahverkehr auf der Schiene ist das Stiefkind der Bahn geblieben. Vor allem in den neuen Bundesländern wären erhebliche Investitionen nötig, um das marode Nebennetz wieder flottzumachen. Derzeit schrecken Durchschnittsgeschwindigkeiten von 30 Stundenkilometern — etwa auf der Strecke von Berlin ins nordbrandenburgische Rheinsberg — und geringe Taktfrequenzen bei gleichzeitig relativ hohen Preisen die Kundschaft eher ab.

Streckenstillegungen haben in den vergangenen Jahren durchaus zum Sparrepertoire der Bahn gehört: Allein zwischen Anfang 1994 und Mitte 1996 wurden 137 Strecken mit einer Gesamtlänge von 1.397 Kilometern stillgelegt, hat das Institut für Regional-Ökonomie in einer Studie für den PDS- Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf errechnet.

Die Bahn AG muß allerdings gar nicht den Buhmann spielen, der alleinverantwortlich Strecken stillegt. Denn seit Anfang 1996 sind die Bundesländer für die Bestellung und Bezahlung des Schienenpersonennahverkehrs zuständig. Noch wird er weitgehend vom (Fast-)Monopolisten Bahn AG angeboten. Doch das könnte sich bald ändern: Im Zuge der Regionalisierung bemühen sich inzwischen Länder und Kommunen um die Übernahme regionaler Schienennetze.

Die Bahn AG stellt den Ländern und Kommunen für die Streckennutzung rund 9 Mark pro gefahrenen Streckenkilometer in Rechnung. Wird die Bahn nun einen Teil der unrentablen Nebenstrecken los, braucht sie auch nicht mehr über Stillegung oder Weiterbetrieb zu entscheiden; dann liegt der Schwarze Peter bei den Ländern und Kreisen. „Bekommen die Gebietskörperschaften vom Bund nicht die nötigen Mittel für die Schienennetze, werden sie sie auch nicht erhalten können“, sagt der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Albert Schmidt. Doch der Bund habe eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Bahnnetze zu pflegen: Nach Artikel 87 e, Absatz 4 des Grundgesetzes „gewährleistet“ der Bund, „daß dem Wohl der Allgemeinheit (...) beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des Bundes (...) Rechnung getragen wird“.

Schmidt nun hat ein Eckpunktepapier für eine „2. Bahnreform“ erarbeitet, das einen dicken Forderungskatalog umfaßt: Die Bundesregierung müsse sich den Schienenverkehr im Regionalbereich erheblich mehr kosten lassen, wenn das Ziel, Verkehr auf die Schiene umzulenken, ernst gemeint sein soll. Bisher stünden dem Nahbereich lediglich 1,5 Milliarden Mark Investitionsmittel für den Zeitraum 1995 bis 97 zur Verfügung, nur 6,4 Prozent des Gesamtansatzes für Investitionen in Neubaustrecken und Sanierungen.

Schmidt fordert für den Ausbau und die Sanierung der Schienenwege innerhalb von 15 Jahren rund 44 Milliarden Mark zusätzlich vom Bund. Zusätzliche Mittel in Höhe von 66 Millarden Mark müßten im gleichen Zeitraum auch die Länder und Kommunen erhalten. Die immense Summe möchte Schmidt aus einer erhöhten Mehrwertsteuer oder noch lieber aus der oft geforderten ökologischen Steuerreform abzapfen.

Daneben setzt sich der Bündnisgrüne auch für eine Neuorganisation des Schienenverkehrs ein. „Planungs- und Finanzverantwortung (...) sind analog zum Straßennetz vom Staat zu übernehmen“, heißt es im Eckpunktepapier.

Doch auch Schmidt weiß: Der Glaube an die Realisierung solch kostspieliger Konzepte ist reines Wunschdenken — selbst in der bündnisgrünen Fraktion herrschen andere Vorstellungen über die Verwendung der Mittel aus einer ökologischen Steuerreform. So wird es auch künftig eher um kreative regionale Lösungen für Streckenübernahmen und -betrieb gehen, wenn das Nebenstreckennetz erhalten bleiben soll.