Der Leichnam bleibt kalt

■ Schlichte Emblematik, mit viel Weltraunen aufgemotzt: Tankred Dorsts „Legende vom armen Heinrich“ in der Uraufführung an den Münchner Kammerspielen

Die Wirklichkeit meint es oft nicht so gut mit uns. Vielleicht streuen die Münchner Kammerspiele deshalb gern Märchen ins breitgefächerte Programm, zwischen Klassiker und Zeitgenössisches, „Reden über Deutschland“, Polt und Feldpostbriefe deutscher Soldaten. Nach „Des Sängers Fluch“ und „Alice im Wunderland“ nun „Die Legende vom armen Heinrich“, ein neues Werk von Tankred Dorst unter Mitarbeit von Ursula Ehler.

Der Stoff ist nicht neu, Hartmann von Aue und Gerhart Hauptmann haben diesem Ritter von der traurigen Gestalt – dem dahinsiechenden Heinrich, den nur der Opfertod eines unschuldigen Mädchens retten kann – schon einmal Leben eingeflößt. Hartmann vor gut 800 Jahren mit seiner mittelhochdeutschen Verslegende, Hauptmann in einem fünfaktigen Schauspiel, 1902 in Wien uraufgeführt. Nicht zu vergessen die gleichnamige Oper von Hans Pfitzner vor gut 100 Jahren.

Nun also noch Tankred Dorst, der sich schon immer zur mittelalterlichen Sagenwelt hingezogen fühlte, zu einer Phantastik, die überschaubar und auf das Maß menschlicher Vorstellungskraft zugeschnitten ist. In seiner Version hat Dorst das sich opfernde Mädchen Elsa in den Vordergrund gerückt. Ihrer kindlichen Unmittelbarkeit, Entschlossenheit und wachsenden menschlichen Reife ist es zu verdanken, daß Heinrich zu sich selbst findet und damit vom Ich zum Du. So weit, so gut.

Wie aber aus dieser „deutschen Sage“, wie Hauptmann sein Drama untertitelte, mehr als nur einen lauwarmen Aufguß bereiten? Zwar hat Dorst in seiner literarischen Bastelstube alle Register einer cleveren Montagetechnik gezogen, aber der Leichnam bleibt ziemlich kalt. In zwei Stunden ohne Pause passieren 15 Szenen Revue, die alle auf die letzte, „Das Wunder“, die erlösende Heilkraft der Liebe hinführen und von Dorst sowohl mit schlichter Emblematik versehen als auch mit Weltraunen aufgemotzt werden.

Da gibt es das von Jule Ronstedt mit hingebungsvoller Frische und unerschrockenem Widerspruchsgeist gespielte Mädchen Elsa, das Neugier und Empfindsamkeit aus den engen Verhältnissen ihres Elternhauses treiben. Weil sie nicht so engherzig werden will wie ihre Mutter (bemerkenswert harsch Ulrike Willenbacher), die schrubbend keift und stöhnt, und ihr Vater (Arnulf Schumacher), der ihr den Schürhaken überzieht, verschenkt Elsa lieber gleich ihr ganzes Herz, um mit der Weite des Himmelreichs belohnt zu werden. Und will doch eigentlich nur wahrgenommen werden: „Sieh mich doch endlich an!“ sagt sie im zwölften Bild zu Heinrich, den Manfred Zapatka als leidenden Narziß vorführt, als tumben tôr, verpuppt unter Bandagen.

Dorsts Ziele sind hochgesteckt: Welttheater als modernes Mysterienspiel, angereichert mit einer Prise Beckett, viel gelehrtem Gequassel und einer gehörigen Portion Gefühl. Das ergibt eine leicht verkitschte Mixtur aus unterschiedlichen Versatzstücken, die auch der Regieeinsatz von Jens- Daniel Herzog nicht retten kann. Er findet schöne gemalte Bilder in den sich durch verschiebbare Wände immer wieder anders öffnenden Räumen.

Im Kontrast dazu das bräutlich- weiße Gewand Elsas und Heinrichs, die bunte Pracht der höfischen Gesellschaft auf Schloß Beauséjour, wo die schöne Orgelouse, Heinrichs ehemalige Geliebte, wohnt.

Aber trotz Spielfreude und szenischer Einfälle bleibt dieser postmoderne Bilderbogen altbacken. Am Schluß kapituliert auch der Regisseur und reduziert die strapazierte Weltsymbolik auf das Liebesgeflüster eines Paares: Adam und Eva im Guckkasten-Paradies. Vera Botterbusch

Weitere Aufführungen: 1., 3., 5., 17. und 24.3., jeweils 20 Uhr