Richter lassen hessische EU-Ausländer mitwählen

■ Bundesverfassungsgericht lehnte Klage eines Deutschen gegen das kommunale Wahlrecht für EU-Ausländer ab. Regelung in Baden-Württemberg umstritten

Freiburg (taz) – Bei der hessischen Kommunalwahl am Sonntag dürfen auch die 200.000 erstmals wahlberechtigten EU-Ausländer mitwählen. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem gestern veröffentlichten Beschluß. Es erklärte dabei die Verfassungsbeschwerde eines Deutschen aus Wiesbaden für unzulässig, der das kommunale Wahlrecht für EU-Ausländer kippen wollte.

Der Mann hatte eine Ungleichbehandlung darin gesehen, daß EU-Ausländer in Hessen auch über die Wahl von Ausländerbeiräten Einfluß nehmen könnten. Sie verfügten damit gegenüber Deutschen über ein „quantitatives Plus an Wahlrechten“. Eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Verfassungsgerichts hielt dem entgegen, daß Ausländerbeiräte nur Vorschlags- und Anhörungsrechte hätten und daher „keine Staatsgewalt“ ausübten. Grundrechte des Klägers seien gar nicht berührt. Politisch heikler war eine zweite Verfassungsbeschwerde, die das Kommunalwahlrecht in Baden- Württemberg betraf. Ein Kläger aus Mannheim hatte sich beschwert, daß EU-Ausländer im Südwesten das Wahlrecht automatisch (und nicht nur auf Antrag) erhielten. Mit dieser Regelung sei das Land über das EU-rechtlich erforderliche Minimum hinausgegangen. Auch die Möglichkeiten von EU-Ausländern, an Volksabstimmungen teilzunehmen und als Bürgermeister zu kandidieren, sei nicht EU-rechtlich vorbestimmt.

Mit dieser Klage tat sich das Verfassungsgericht ungleich schwerer. Sie wurde zwar für unzulässig erklärt, weil das Wahlrecht kein Recht beinhalte, andere von der Wahl auszuschließen. Ausdrücklich offen ließ die Kammer aber, ob nicht doch ein Verfassungsverstoß vorliege. Mit der „abstrakten Normenkontrolle“ könnte etwa eine andere Landesregierung oder ein Drittel des Bundestags eine Klärung verlangen.

Im Oktober 1990 hatte das Verfassungsgericht das Ausländerwahlrecht in Schleswig-Holstein und Hamburg für verfassungswidrig erklärt. Nur deutsche Staatsbürger, so das damals einstimmig ergangene Urteil, dürften deutsche Staatsgewalt ausüben. Als Zugeständnis an die liberalen BVerfG- Richter war lediglich in Aussicht gestellt worden, daß nach einer Verfassungsänderung ein Wahlrecht für EU-Ausländer akzeptabel sein könnte. Diese Grundgesetzänderung ist im Zusammenhang mit dem Maastrichter Vertrag inzwischen erfolgt. Wie weit die Akzeptanz eines modernen Wahlrechts in Karlsruhe inzwischen geht, ist nach den jetzigen Entscheidungen noch offen. (Az.: 2 BvR 2621/95 und 2 BvR 2862/95) Christian Rath