Castor: Widerstand wird abgekanthert

■ Bundesregierung will Atomtransporte ins Zwischenlager Gorleben mit aller Gewalt durchsetzen. Im Bundestag nennt der Innenminister friedliche Blockaden eine Herausforderung der Demokratie. Buhrufe im Parlament

Bonn/Hannover (taz) – Energiepolitik spielte in der fast vierstündigen Debatte des Bundestages über die umstrittenen Castor-Transporte eine untergeordnete Rolle. Sprecher der Regierungskoalition nutzten vielmehr die Gelegenheit zu markigen Worten zum Thema Gewalt. Manfred Kanther (CDU) ließ erkennen, was er vom Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit hält: „Wer zu gewaltlosem Widerstand aufruft, weiß, daß er mit großer Wahrscheinlichkeit der Gewalttätigkeit Schützenhilfe leistet“, sagte der Innenminister. Die Rede war von donnerndem Applaus seiner Fraktion begleitet. Von der Opposition kam dagegen scharfe Kritik: „Wenn Sie den Gewaltbegriff benutzen als Blockade gegen Denkanstöße und andere Überzeugungen, dann ist das infam“, sagte Arne Fuhrmann von der SPD. Rolf Köhne (PDS) warf der Regierung vor, zivilen Ungehorsam mit Terror und Gewalt zu verwechseln.

Als „Diffamierung“ wies die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg Kanthers Äußerungen zurück. „Anders, als es Scharfmacher wünschen, werden wir massenhaft und friedlich auf die Straße gehen“, erklärte die BI-Vorsitzende Birgit Huneke und versprach für die kommenden Transporttage eine „Anti-Atom-Politik mit offenem Gesicht“. Die Castor-Gegner erinnerte die Bürgerinitiative noch einmal daran, bei der Widerstandsaktion keine Menschen zu gefährden.

Kanther hatte sich während der Debatte auch direkt an den Fraktionssprecher der Grünen, Joschka Fischer, gewandt: „Maßstab, Herr Fischer, ist der Rechtsbruch, nicht die private selbstgestrickte Moral.“ Der war in seiner Rede ganz unmißverständlich: „In einem Rechtsstaat gibt es keinen Platz für außergesetzliche Gewalt.“ Fischer unterstützte die gewaltfreien Proteste gegen die Castor-Transporte. Es sei „unverantwortlich, Kernkraftwerke am Netz zu lassen“. Weltweit gebe es keine Entsorgungslösung.

Fischers Distanzierung von Gewalt hinderte FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle nicht, ihm dennoch indirekt Gewaltbereitschaft zu unterstellen: „Staatstragend“ stelle sich Fischer hier „im feinen Tuch“ hin und sage, die Demonstranten sollten schön friedlich bleiben. Dabei nehme er nicht zur Kenntnis, was in seiner Partei vorgehe. „Die Grünen bereiten den Humus, auf dem die Gewalt gedeiht.“

Derart grobe Töne drohten differenziertere Betrachtungsweisen untergehen zu lassen. Niedersachsens Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) sagte, bundesweit seien zum Schutz der Castor-Transporte fast 30.000 Polizisten nötig. Er betonte, der Staat könne und werde Gewalt nicht hinnehmen. Gleichzeitig vertrat er jedoch die Auffassung, daß ein Zwischenlager am „politisch symbolträchtigsten Ort“ der Antikernkraftbewegung politisch unverantwortlich sei: „Ein kluger Rechtsstaat geht nicht mit dem Kopf durch jede Wand, die ihm hingestellt wird.“ Ähnlich äußerte sich der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch, der Westerwelles Rede nicht applaudiert hatte. Er meinte, man müsse lernen, daß die Polizei nicht die Köpfe der Menschen verändern könne. Kernenergie könne nur genutzt werden, wenn es dafür einen breiten gesellschaftlichen Konsens gebe, „und der ist mit der Polizei nicht herbeizuführen“.

Hirsch hatte sich mit einer „persönlichen Intervention“ zu Wort gemeldet. Dieses Instrument, das allen Abgeordneten drei Minuten Redezeit einräumt, nutzten gestern ungewöhnlich viele Parlamentarier, auch die grüne Abgeordnete Elisabeth Altmann. Sie forderte eine ökologische Energiepolitik und kündigte an: „Wir stellen uns weiter quer.“ Guido Westerwelle hielt in seiner Antwort darauf eine taz vom letzten Jahr in die Höhe. Darin hatte Elisabeth Altmann dazu aufgerufen, Schienen „gewaltfrei und festlich zu demontieren“. Der Beitrag der Abgeordneten war mit ihrer Fraktion nicht abgesprochen gewesen und stieß intern auf Kritik: Eine „Steilvorlage“ für Westerwelle sei das gewesen, urteilten Grüne verschiedener Strömungen. B.G./ü.o.

Siehe auch Seite 7, Kommentar Seite 10