: "Bin auf allen Schiffen gewesen"
■ Ein Schweinsgalopp durch Swimmingpools und Westernstädte: Die Berliner Instrumentalcombo Die Haut ist wieder da
Welcome to the eighties, nineties. Die Berliner Instrumentalcombo Die Haut ist mit einem neuen Album zurück, nachdem man sie das letzte Mal 1992 mit Nick Cave, Blixa Bargeld und anderen auf der Bühne des Tempodrom gesichtet hatte. Obwohl die Band damals ihr zehnjähriges Bestehen feierte, wirkte das Konzert wie ein traurig-wehmütiger Abschied von der Bühne und den alten, schönen Mauerstadtzeiten. Die Haut verordnete sich daraufhin in der Tat eine „kleine Denkpause“, so ihr Bassist und Pressesprecher Christoph Dreher zur langen Abstinenz, „aber nur um irgendwann zu merken, daß wir ohne Die Haut nicht leben können“.
Und so sitzt Christoph Dreher im Café Einstein, einem nicht unschicken Café-Restaurant-Fossil aus den Achtzigern, um Rede und Antwort zu stehen zu „Spring“, dem Album, das sie dieser Tage veröffentlicht haben.
Gedacht als ein „instrumentelles Statement für die alten Freunde der Haut“, ist „Spring“ jedoch ein Haut-typischer Zwitter aus Instrumentals und Gesangsstücken. Abgesehen von ihrem 92er Album „Head On“, einer „reinen Gesangsplatte“, war es immer eine Eigenschaft der Haut, zerrissen zu sein, sich nicht entscheiden zu können: Ohne den Gastgesang ihrer „Freunde“ wollten und wollen sie einfach nicht auskommen – obwohl Die Haut gerade mit den Instrumentals ihre eigene und eigenwillige Geschichte schrieb und dem Berlin der Achtziger eine extrem unterhaltende Note verlieh: Die Stücke der Haut waren nicht immer nur dunkel, treibend, infernalisch oder „monolithengleich“; nein, sie versetzten dem Berliner Underground auch von Jugend auf Tritte in seine Selbstgefälligkeit, mit galoppierenden Westernnummern, mit Surfmelodien und mit Stücken, die als Trailer oder Soundtracks in jedem Hollywood-Streifen eine gute Figur gemacht hätten.
Die Band bestellte damit das Feld für einen Barry Adamson und seine Filmmusikalben, für die Jever Mountain Boys und ihre Country-Western-Adaptionen, für Nick Cave und seinen Hang, irgendwann ein zweiter Frank Sinatra zu werden – eine Liste, die sich beliebig verlängern ließe.
Auch wenn Dreher meint, daß der „Komplexitätsgrad“ der Songs im Vergleich zu früher geringer sei und der Sound besser, findet man auf „Spring“ das alte Feeling wieder: Diejenigen, die anhand der Haut die eigenen Lebensläufe verfolgen, können bestens in Erinnerungen schwelgen. Andererseits dürften auch Postrockfreaks und Techno-Animals ihre Entdeckungen machen und dabei merken, daß Die Haut manche ihrer Arbeitsweisen schon von Jugend auf verwendet: „Sessions machen, Samples aus den Sessions nehmen, Samples im Sinne von kleinen Ausschnitten, die dann den Kern unseres Arrangements bilden, um damit Bilder und Ideen musikalisch rekonstruieren zu können.“
Zwar heißt das siebte und den ersten Albumteil abschließende Instrumental „Morituri Te Salutant“, doch das ist mehr Ironie und Scheiß als ein Schwanengesang aus dem Off der Achtziger. Erst ganz spät auf „Spring“ singt und rezitiert Blixa Bargeld: „Bin auf allen Schiffen gewesen, auf allen Kontinenten und in jedem Reich.“
Daß einen die eigene Geschichte nie ganz losläßt, weiß auch Dreher. Auf dem Cover ihres letzten regulären Studioalbums, auf „Head On“, hatten sie sich in Anzügen vor einem BMW der Siebener-Reihe ablichten lassen: Das war seinerzeit als Wink mit dem Zaunpfahl aufgefaßt worden, als ironische Einschreibung ins Kapital, als Verkörperung von Geld, das man nicht hat, und es paßte trotzdem sehr gut in die Aufbruchs- und Abschiedsstimmung ihres Jubiläumskonzerts. Und wie Dreher da nun im Café Einstein sitzt – Dandy und soignierter Herr zugleich, gewandet in einen feinen Anzug, die Verdauungszigarre in der linken Hand – und sich „einen schönen Grappa, einen milden doppelten“ bestellt, scheint die Rechnung auch für Die Haut aufgegangen zu sein.
Man weiß um den eigenen Stellenwert und muß nicht auf Teufel komm raus den Anforderungen des schnellebigen Musikmarktes gerecht werden. Zumal man längst auch in zahlreiche andere Projekte verstrickt ist: So schrieb Gitarrist Rainer Lingk unter anderem zuletzt einen Soundtrack für einen „Tatort“, so führt Jochen Arbeit, der andere Gitarrist, die nicht zuletzt durch den notorischen Ben Becker erneut aufblühende Kneipe Ex 'n' Pop, und Dreher selbst ist seit Jahren federführend beteiligt an Konzeption, Dreh und Produktion der „Lost In Music“- Filmreihe auf arte.
Vor allem als Provokation war das „Head On“-Cover gedacht, um als „ärmste Band dieses Planeten“ einen Kontrapunkt zu setzen zu den millionenschweren Rockern, „die sich öffentlich immer nur mit zerrissenen Jeans zeigen und den Slacker raushängen lassen, ansonsten aber in Tonstudios und an Swimmingpools verschämt ihre Scheine zählen“.
Doch trotz Koketterie, spaßiger Themensetzung und „totaler Diametralität zu unserer eigenen Haltung“: Wenn Dreher heute davon spricht, daß man von „Head On“ „auch doppelt soviel statt der 25.000 Einheiten“ hätte verkaufen können, dann schwingt viel Ärger mit ob der immer wieder „von anderer Seite [sprich alte Plattenfirmen] sabotierten Bemühungen“.
Bei der neuen Plattenfirma, bei der auch die Einstürzenden Neubauten unter Vertrag sind, fühlt man sich gut aufgehoben und verstanden, „und wenn die Neubauten von ihrer doch unzugänglichen Musik eine ganze Menge verkaufen, dann müßte das auch für uns möglich sein“. Und so schwingt er im Hinterstübchen mit, der Wille zur breiteren Akzeptanz, warum auch nicht? Der Albumtitel „Spring“ – bei allem Dekaden- Switching, bei aller Doppelbödigkeit in bezug auf die Haut – bekommt also auch in dieser Hinsicht seine Bedeutung: Das Cover ziert die Fontäne eines Springbrunnens, und Dreher, ganz Sinnesmensch, beschreibt die Assoziationen, die die Band bei der Titelsuche hatte: „Die Quelle als Inbegriff des Neuen, Frischen und Sprudelnden, als Äquivalent zu unserer Musik.“ Dann lacht er verschmitzt und spricht von „den Bäumen, die ausschlagen, von dem zweiten Frühling, den Die Haut jetzt erlebt“. Gerrit Bartels
Die Haut: „Spring“ (Our Choice/ Rough Trade)
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