Der Wille zur Ohnmacht

Dolly, das in einer schottischen Klinik geklonte Schaf, und die Witwe Diane Blood, die nun den Samen ihres verstorbenen Mannes nutzen darf: Glanz und Elend der Humangenetik  ■ Von Mariam Niroumand

Fast gleichzeitig mit der Nachricht von der Geburt Dollys, des geklonten schottischen Schafs, traf die Glücksmeldung der englischen Witwe mit dem übermäßig signifikanten Namen Diane Blood ein, der die Behörden endlich einen lang gehegten Wunsch erfüllt hatten: Sie darf sich – außerhalb Englands, in Belgien – den Samen ihres vor zwei Jahren verstorbenen Mannes einpflanzen lassen, obwohl dieser keine schriftliche Einwilligung dazu gegeben hat. Man ahnt einen losen Zusammenhang: Während Dolly das ganze Arsenal an Befürchtungen um die Individualität des (nun klonbaren) Menschen mobilisiert, legt der Fall Blood nahe, es könnten gerade die individuellsten Bedürfnisse sein, die die Humangenetik vorantreiben. Gerade weil Mrs. Blood ihren Mann und sich selbst nicht als beliebig kompatible „Gattungsexemplare“ betrachtet, gerade weil er und kein anderer Vater ihres Kindes sein soll, nimmt sie Zuflucht zur künstlichen Befruchtung.

Die Bedenken sind natürlich trotzdem Legion. Die klassischen, aus der Industrialisierung stammenden Phantasien von Homunculi, Maschinenmenschen, Terminatoren oder willenlosen Arbeitsrobotern wurden aber in den letzten Tagen nur noch zitiert als Gespenster, von denen bestenfalls andere heimgesucht werden; so richtig geängstigt haben sie wohl kaum einen Kommentator. Selbst die BZ machte zum Thema mit einem lustigen Mendel-Bäumchen aus Saddam Hussein, Veronica Ferres, Sylvester Stallone, Boris Becker und Claudia Schiffer auf.

Daß ein kichernder Richard von Weizsäcker die Aufmacherseite abschließt, beweist einmal mehr den guten Riecher des Blattes. Schließlich kann von Weizsäcker als Exponent der viel einflußreicheren Kritik gelten, nämlich der an Günther Anders angelehnten Vorstellung von der „prometheischen Scham“ des Menschen, der sich jämmerlich fühlt, weil er von anderen erst geboren werden muß, und der es deshalb darauf anlegt, alles, auch sich selbst, der Selbsterzeugung zu verdanken. Aber natürlich ist er schon immer hoffnungslos hinter den eigenen Entwürfen zurück, er ist der „Hofzwerg seines eigenen Maschinenparks“; antiquiert, entfremdet, verdinglicht. Claus Koch beschrieb diese Redefiguren von der Verdinglichung und Entfremdung im Zusammenhang mit der Bioethik vor einigen Jahren als den Versuch einer „verwirrten middle class, den Verlust kultureller Herrschaft durch eine Moralisierung der Natur“ zu kompensieren. Das lese sich wie ein Selbstbestrafungskatalog bürgerlicher Technikkritik, ein heftiger „Wille zur Ohnmacht“, der „die Technik fetischisiert, um vor ihr anständig kapitulieren zu können“.

Diese an sich leergeklopften Klischees vom Zauberlehring werden wach, wenn Ian Wilmut, der Leiter der Versuchsreihe, an deren Ende das Schaf Dolly stand, vom Independent als jungenhafter Whiskeytrinker beschrieben wird, der seit dem großen Durchbruch seines Teams mit geducktem Kopf über die Hügel rund um die Roslin-Klinik in Edinburgh schleicht und murmelt: „Nun, man könnte vielleicht Menschen klonen, aber wir alle würden das ablehnen.“ Daß er und seine Gehülfen das Schaf nach Dolly Partons opulenten Brüsten benannt haben, soll mit der Gewinnung der Zelle aus dem Euter des „Mutterschafs“ zusammenhängen – sicher hat auch die künstliche Aura des Partonschen Busens dazu beigetragen.

Natürlich schließt sich an die Formel von der prometheischen Selbsterschaffung auch die von der Zeugung ohne Frau an. Daß bislang zum Unternehmen Dolly noch keine feministischen Stimmen zu hören waren, liegt womöglich daran, daß hier auch die andere Möglichkeit aufscheint: Die zuerst von ihrer eigenen DNA befreiten und mit neuem Erbmaterial versehenen Eizellen können bislang ja nur in einem weiblichen Körper reifen – der nicht der Mutterkörper ist. Frauen befruchten Frauen zur Zeugung von Frauen (mit ein bißchen Hilfe vom Mann): Der Amazonenstaat rückt näher!

Während in Amerika das Thema – nicht zuletzt durch Clintons besorgten Auftrag an die Ethikkommission, ihm in neunzig Tagen das Thema zu evaluieren – in Talkshows und Leitartikeln landauf, landab nervös diskutiert wird, reagierte die britische Presse recht pragmatisch. „Verdoppelung? Ganz natürlich: Löwenzahn und Nesseln tun es auch!“ schrieb die Philosophin Mary Midgley im Guardian, und im übrigen sei es hoffnungslos, mit der Verdoppelung die heutigen Genies reproduzieren zu wollen; schon Dolly trennen von ihrer „Mutter“ sechs Jahre: „Menschen brauchen zwanzig Jahre, um erwachsen zu werden. Was immer man von ihnen wollte, wird höchstwahrscheinlich schon nicht mehr gebraucht, wenn sie endlich soweit sind. Die Konstruktion des willenlosen Arbeiters, der perfekt für seinen Job konstruiert wird, war schon ein Webfehler in ,Schöne neue Welt‘.“

Tom Wilkie stellt für den Independent fest, daß der „Igittfaktor“ bei der Entwicklung biologischer Fortschritte schon immer die erste Reaktion gewesen sei, die sich dann aber mit den Jahren verflüchtigt habe. So war es beispielsweise bis in die fünfziger Jahre in England verboten, die Hornhäute Verstorbener zur Verbesserung der Sehkraft Lebender zu transplantieren. Heute sei es hingegen fast schon nicht mehr akzeptabel, keinen Spenderausweis zu tragen. Die Schriftstellerin Fay Weldon schließlich bemerkt in ihrem Roman „The Cloning of Joanna May“: „Ich finde nicht, daß die Natur so eine großartige Arbeit geleistet hat, daß da nichts mehr dran zu verbessern wäre.“

Neben Galileo, Kopernikus und Darwin wird Dolly, der Etappensieg der Gentechnologie, mit der einschneidenden Wirkung der Atomenergie verglichen, auf die auch Anders sich hauptsächlich bezogen hatte. Dahinter steht die Vorstellung, man könne an neuen Technologien einen Zeitzustand erklären, sie zu einer Metapher machen – was bei der Atomenergie sowenig funktioniert hat wie bei der Computertechnik. Daß die Vorwürfe aber bei den Betreibern nicht ohne Wirkung geblieben sind, verraten die hektischen Anzeigenkampagnen.

Selbst Bild der Wissenschaft, sonst nicht für Zimperlichkeiten in Sachen Naturbeherrschung bekannt, prüfte neulich gewissenhaft die „sechs Versprechen der Gentechnik“: Verbesserung der Diagnose ererbter Krankheiten wie Alzheimer oder Down-Syndrom (schön und gut, befindet die Zeitschrift, wenn man gegen die frühdiagnostizierten Krankheiten etwas unternehmen kann); Gentherapie ererbter Krankheiten, zum Beispiel mittels Insulin (schlecht realisierbar); Genmedikamente: besser, billiger, reiner (kommt als einziges der sechs Versprechen positiv weg); Hunger lindern durch Nutzpflanzen (zweifelhaft); Rohstoffproduktion (zweifelhaft); schließlich die billigere Lebensmittelproduktion (Risiken nicht beherrschbar). Möglich, daß das geklonte Schaf ein Zufallstreffer war, und selbst wenn nicht, bleibt fraglich, ob der hohe Aufwand überhaupt beispielsweise für landwirtschaftliche Nutztiere lohnt. Welchen Sinn das Klonen von Menschen (dessen Realisierbarkeit auch höchst zweifelhaft ist) überhaupt haben könnte, weiß auch niemand.

Hinter diesen dürren Aufzählungen verbergen sich natürlich nicht zuletzt endlose Kämpfe um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, wie sie auch Diane Blood jetzt zwei Jahre lang ausgefochten hat. Zwillinge, die von ihren Tanten geboren werden; die Frau, deren Mutter auch die Mutter ihrer Kinder ist; der Mann, der seine Stieftochter als Leihmutter für das mit ihrer Mutter gezeugte Kind benutzt – alle müssen neu verhandeln, was unter „Mutter“, „Familie“ oder „Eltern“ zu verstehen ist. Dagegen den Naturzwang und die ungehinderte Evolution aufzurufen, ist wie Kopernikus mit der flachen Scheibe antworten.