Ein neuer Einigungsvertrag?

■ Dagobert Lindlaus „St. Pauli Saga“im Schauspielhaus – keine Rezension

Wenn ein Mann beklatscht wird, weil er im Theater den Hut nicht abnimmt, wenn Wolf Biermann nachts um 2 Uhr auf der Premierenfeier geifernd drei Frauen hinterhereiert, wenn Volkes Armeeführer Volker Rühe den Weg ins Deutsche Schauspielhaus findet und die Fußballmannschaft des FC St. Pauli neben den Großkopferten des deutschen Feuilletons im Parkett tütenweise Gummibärchen verdrückt, dann scheint der große kulturelle Friedensvertrag doch besiegelt zu sein.

Was Werbung, Solidaritätszuschlag und Parlamentarismus bis heute nicht geschafft haben, die geschmackliche Einheit unter den Deutschen herzustellen, das gelingt Autor Dagobert Lindlau und Regisseur Wilfried Minks scheinbar spielend. Kultusministerin Schuchardt und Trainer Maslo, Peepshow-Besitzer mit Ehefrau und Nachrichtensprecher Wieben, Kiezfotograf Zint und Literaturkritiker Raddatz, Ex-Intendant Nagel und Bartels, der König von St. Pauli, sie alle einte die Neugier auf die St. Pauli Saga. Das Deutsche Schauspielhaus also jetzt der Ort eines neuen Einigungsvertrages?

Gott, Minks und Lindlau sei Dank, die Ratifizierung fiel aus, und die geistigen Gräben taten sich schnell wieder auf. Denn während die Fußballspieler mit der einen Hand am Handy und mit der anderen am goldenen Ohrring herumzupften, weil ihnen die dargebotetenen Stereotypen noch immer zu hoch waren, und sie nachher zu Protokoll geben mußten, wie toll ihnen alles gefallen hat, kaute das gewohnte Publikum auf den Backen vor Langeweile und enteiferte sich auf der anschließenden Party im ganzen Haus über „diesen Schwachsinn“(eine Kritikerin). Zazie de Paris buhte stellvertretend für den Kultur-Kiez, und der pensionierte Satin-Jacket-Lude fand „die Musik gut, aber Pauli ist ganz anners“. Nur Udo fand wahrscheinlich alles wieder „mega-affengeil“, aber unter so einem Hut wird's im Theater ja auch ganz schön heiß. Es bleibt also alles bei den alten Feindschaften. Die Kulturrepublik ist gerettet. Danke, danke, danke sagt:

Till Briegleb