Erlebnisreise in einer Ruine

■ Juji Takeoka und seine Klasse zeigen „Schwebende Lasten“im Lichthaus

Auch PolizistInnen interessieren sich für Kunstaustellungen. Vor allem, wenn Gefahr im Verzug ist. „Vorsicht Hafengebiet. Achtung vor Schienenverkehr und schwebenden Lasten“steht auf einem Schild, das den Weg zum abrißreifen AG-Weser-Gelände weist. „Schwebende Lasten“– so heißt auch eine Ausstellung von 18 Bremer KunststudentInnen, die jetzt im leerstehenden Verwaltungshaus der ehemaligen Werft zu sehen ist – und am Wochenende zwei interessierte Polizeibeamte anlockte. Denn wer sich in die Ruine wagt, muß mit geradezu riskanten Austellungsobjekten rechnen.

Gleich in der Mitte des Lichthaus-Foyers hält sich das – für die Ordnungshüter gefährliche – künstlerische Objekt versteckt. Ein Turm aus Drahtstangen, in dem zwei TV-Monitore hängen, ragt dort in die Höhe. Unten am Fuß liegen sinnentleerte Zeichen auf dem Boden: Leuchtende Neon-Buchstaben, durch die gefährlicher Strom fließt. So gefährlich, daß Kunststudent Jörg Bloem auf Geheiß der Ordnungshüter schnell ein Schild mit der Aufschrift „Vorsicht Stromgefahr“vor seine Installation hängt.

Eine Szenerie zwischen zwei Polizisten und einem Künstler, die sogleich unwillkürlich zum Teil der eigentlichen Austellung geworden ist. Genauso wie AustellungsbesucherInnen, die irgendwo regungslos an einem Pfeiler stehen und nach unten blicken. Oder unten im Foyer mit gerecktem Kopf in die Lichthaus-Kuppel starren. Denn was im Lichthaus zu sehen ist, verändert das Erleben von Räumen sowie von Menschen und Objekten, die sich in ihnen bewegen.

Fünf Monate lang haben sich 18 StudentInnen und Postgraduierte aus der Klasse von Tuji Takeoka im Lichthaus aufgehalten. Und zwischen Schutthaufen, offenen Stromkabeln und zerplatzten Fensterscheiben raumbezogene und mediale Installationen gestaltet. Das Ergebnis ist für den Austellungsbesucher eine Erlebnisreise über Treppen, Flure und Schwellen, die in Sackgassen führt. Aber auch in verdunkelte Räume, die plötzlich heller und heller werden. Immer wieder wird das Auge für die Perspektive geschärft und Neugier geweckt.

Wie in einem Kellerverließ meint mensch sich zu fühlen, der den gestalteten Raum von Sonja Meyer im dritten Stockwerk entdeckt. Wenn er ihn überhaupt entdeckt, denn Türen gibt es eigentlich nicht. Nur hochgezogene Tapeten, vor denen nicht gerade einladende schwarze Tücher hängen. Künstliches Kellerlicht strahlt die backsteinernen Wände an. Irgendwo von draußen sind Schritte zu hören. Ganz allein im Raum, schreitet man weiter und bleibt erschrocken stehen: Das Licht geht plötzlich aus und auf die Säule in der Mitte, mit ihrem aufgesetzten steineren Kopf, wird sekundenschnell das Dia eines lebendigen, sportlich gekleideten Mannes projiziert.

Die eigene Bewegung ist es, die das Erleben von Raum und Perspektive verändert. Im Nebenzimmer sind schreiende, spielende Kinder zu hören. Vor der weißen Tür ein Spalt, der ein Kinderzimmer mit Spielsachen erahnen läßt. Ein Druck auf die Türklinke. Geht sie auf? Es knarrt. Der Besucher steht in einem von Kindern verwüsteten und augenscheinlich belebten Raum. Doch da ist eine seltsame Stille, die Kinderstimmen verstummen sofort.

Wo bin ich? Das ist immer wieder die Frage, die sich dem Austellungsbesucher stellt – und auch den KünstlerInnen selbst. „Der Mäzen“heißt eine digitale Installation, die Ekkehard Altenburger im dritten Stockwerk präsentiert. Wer eine Münze in einen metallenen Kasten wirft, setzt eine eigenartige Szenerie in Gang: Auf einem Mini-Monitor, der in einem hölzernen Käfig hängt, macht ein Mensch in Vogelgewand auf einer Stange komische Faxen. Eine Stange, die sich allerdings im selben Raum der Installation befindet. „Mir ging es um die Abhängigkeit der Künstler von der Wirtschaft. Und auch um den Stadtteil Gröpelingen, den wir mit unserem Engagement irgendwie aufpäppeln sollen“, sagt Ekkehard Altenburger und wirft großzügig gleich noch ein paar Münzen nach.

Das Ergebnis der fünfmonatigen Arbeit kann sich sehen lassen – und ist auch dem international renommierten Bildhauer Yuji Takeoka zu verdanken. Denn der Japaner, der sich zur Zeit auf die Professorenstelle von Waldemar Otto an der Hochschule für Künste bewirbt, hat die Motivation der Bremer StudentInnen geschickt in die richtige Bahn gelenkt. Dieses für die Hochschule recht ungewöhnliche Konzept ist aufgegangen. Vor allem auch deshalb, weil die Gruppe sich im Lichthaus präsentiert. Einen besseren Ort für diese Installationen gibt es nicht. Und so wirkt die Austellung so tiefgreifend nach, daß Mensch nach dem Rundgang verwirrt nach draußen tritt und mit einem neuen Blick staunend in die Sonne und auf die ringsherum knarrenden und Ruinen der Werfthallen blickt. Katja Ubben

Öffnungszeiten bis 23.3.: Mo. und Do. 10 - 14 Uhr, Di. 12 - 14 Uhr, Sa. und So. 14 bis 18 Uhr