Bundesliga aktuell: Am Wahnsinnsakku
■ Spielertypen der 90er (Folge 7): Der Fußballbesessene glüht und wütet
Auf dem Platz wütet der Fußballbesessene wie ein Berserker, beschimpft lautstark Mitspieler, Trainer, Schiedsrichter und sich selbst, bis die Halsschlagader auf Gartenschlauchdicke anschwillt. Hat er gar ein Tor geschossen oder eines spektakulär verhindert, ballt er die Faust, als gelte es, eine rohe Kartoffel zu zerquetschen, rast mit gefährlich irrem Blick auf die Trainerbank zu und führt einen solchen Veitstanz auf, daß sogar der Fernsehzuschauer in seinem Ohrensessel erschrocken zurückweicht.
Das Fußballbesessenenteam:
Prototyp: Matthias Sammer
Tor: Klaus „Tier“ Thomforde
Abwehr: Matthias „Feuerkopf“ Sammer, Lodda, Franco Foda, Thorsten Legat
Mittelfeld und Angriff: Valdas Ivanauskas, Bruno Labbadia (Edgar Schmitt), Fredi Bobic, Ulf Kirsten, Martin Driller, Stefan Kuntz
Gestik und Mimik des Fußballbesessenen würden den ausgekochtesten Gangsta-Rappern in der Bronx zur Ehre gereichen. Selbst im Freudentaumel flößen seine bösen Blicke Furcht ein.
Nach dem Spiel beruhigt der Besessene sich nur langsam, beschimpft mit knallrotem Kopf den Schiedsrichter als „blinde Bratwurst“, so daß die Medien ihn alsbald Feuer- und Hitzkopf nennen, die Schiedsrichter sich bitter beklagen und der DFB mit Sperre droht.
Den Trainer freut's, denn des Besessenen Temperament reißt die Kameraden mit. Wenn er glüht und wütet, wild vor Leidenschaft, schürt er das Feuer des Erfolgs. Schießt er ein Tor, fällt er in Trance. Er ist ein Tor im Fieber, er ist das Tier im Tor. Sein Zustand auf dem Platz ist die Ekstase.
Erst nach dem Duschen beruhigt sich des Besessenen Gemüt. Er ist wie verwandelt, als habe er mit dem Schweiß auch die Besessenheit abgewaschen. Höflich steht er den Reportern Rede und Antwort, analysiert gelassen seine Besessenheit als Motivationstrick und ist sogar ein bißchen schüchtern. Aus dem Mr. Hyde der Fußballarena ist ein Dr. Jekyll auf der Ledercouch geworden. Sein Wahnsinnsakku ist leer.
Nun nicht mehr besessen, gibt sich der Fußballbesessene dem sanften Schmalz der Schlagermusik hin, schmust mit Frau und Hamster und tankt so neue Kraft fürs nächste Spiel, um dann, wie losgerissen von der Kette, sich wieder in den Kampf zu stürzen.
Die Fans der eigenen Mannschaft lieben den Fußballbesessenen, denn sie sind auch fußballbesessen, können nur nicht so gut Fußball spielen wie der Fußballbesessene. So wie er wollten sie immer werden, und nun freuen sie sich, daß er sich für ihre Mannschaft so zerreißt. Joachim Frisch
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