„Die Gefahr geht vom Demonstranten aus“

■ 30.000 PolizistInnen begleiten die Castor-Behälter – manche mit gemischten Gefühlen

Klar. „Natürlich haue ich drauf, wenn Steine fliegen. Da setze ich mich doch nicht ins Auto und lasse die Kollegen alleine ackern.“ Bianca Griese fährt mit dem Daumen unter den breiten Hosenträger und wippt von einem Stiefel auf den anderen. Gleichberechtigt will die 23jährige Polizeimeisterin aus Bochum bei ihrem „allerersten großen Einsatz“ sein. Gleichberechtigt mit 30.000 Polizistinnen und Polizisten, die sechs Castor- Behälter ins Zwischenlager Gorleben eskortierten.

Ob Wasserwerfer oder Wanne, Gefangenenbus oder Räumfahrzeug, im Landkreis Lüchow-Dannenberg ist bald jedes vierte Auto grün. Hubschrauber kreisen seit Tagen über den Fachwerkhäusern, mit Nachtsichtgeräten werden die Bahngleise belauert, in Schulen und Sporthallen ist die Polizei eingezogen. Die demonstrationserprobte Elbregion ist zum dritten Castor-Transport gerüstet.

„Elegant über die Runden kommen“ wollen die Ordnungskräfte diesmal. „Dazu gehört auch“, erklärt Kriminalhauptkommissar Joachim Lindenberg, „daß nicht gleich der Wasserwerfer zum Einsatz kommt, wenn die Bauern anfangen, Latten aus den Zäunen zu reißen.“ Das Wort „Deeskalation“ steht bei dem freundlichen Herrn in der weichen Wildlederjacke nicht an erster Stelle, schließlich sei Randale geplant, die „Gefangenensammelstelle“ ist besenrein.

300 Verhaftete haben Platz in dem düsteren Saal der ehemaligen Bundeswehrkaserne von Neu- Tramm. Fenster und Deckenlampen sind hier vergittert, durch die Luke eines Stahlkäfigs will man die Meute mit Essen versorgen. „Hier hat jeder seine Isomatte“, erklärt Kriminaldirektor Lothart Krumsiek, „und kann unverzüglich dem Richter vorgeführt werden.“ Als Hardliner versteht sich der Herr auf Neu-Tramm natürlich keineswegs. „Wir verteilen die Flugblätter der Bürgerinitiative ,x-tausendmal quer‘“, sagt Krumsiek und kramt einen Flyer aus seinem Aktenordner. „Da wird vor Gewalt gewarnt, das finde ich gut.“

Offen geredet habe man auch mit den eigenen Kollegen, von wegen Strahlenbelastung am Castor. Die sei „relativ ungefährlich, das kriegt eine Röntgenassistentin jeden Tag ab“, weiß Kriminalhauptkommissar Lindenberg. Klitzekleine Zweifel haben sich offenbar trotzdem gemeldet. „Erst hieß es einen, dann zwei, jetzt drei Meter Sicherheitsabstand vom Castor“, wundert sich Lindenberg.

Wer neben dem Castor marschieren muß beim Einsatz, wird bisher nicht verraten. Nur daß es der „Schutzmann normal“ sein wird. Einer wie Günther Köster zum Beispiel. Auf dem meterhoch umzäunten Gelände der Polizeidienststelle Lüchow, wo Hubschrauber knatternd landen und abheben, wartet der braungebrannte Polizeikommissar darauf, daß sein Mannschaftswagen aufgetankt wird. „Die Strahlen gehören zum Berufsrisiko“, sagt der 31jährige. Kollege Andreas Lange sieht das etwas anders. „Die Gefahr geht nicht vom Castor, sondern vom Demonstranten aus“, sagt der Hüne mit den kurzen Haaren. „Wenn die Gewalttäter mit Zwillen auf uns schießen, dann hilft der Plastikschild auch nicht mehr.“

Wer weiß, wo der Feind sitzt, hat es leichter in diesen Tagen. Polizeiobermeister Dietmar Hundt gehört nicht zu den Wissenden. Der 37jährige, der zwischen einem blinkenden Schaltpult, einem Megaphon und einem halben Dutzend Schachteln mit Alkoholtestern Wache schiebt, steht im Streit um den Atommüll „immer so dazwischen“. Weil er zu den wenigen Einsatzkräften gehört, die im Landkreis leben. „Ich bin gegen das Zwischenlager“, sagt er. „Wir haben zwei kleine Kinder, haben ein Haus gebaut. Ich kann nicht weggehen, da gibt's zu viele Verpflichtungen.“ Daß er „am liebsten demonstrieren“ würde wie seine Nachbarn, das steht fest. Und auch, daß er statt dessen den Verkehr regeln wird, wenn der Castor kommt.

„Je länger man sich mit der Sache beschäftigt, desto mehr merkt man, daß sie sinnlos ist“, umschreibt Polizeisprecher Peter Faesel die gereizte Stimmung. Auch er ist gegen das Zwischenlager – und hilft, die Transporte durchzupauken. „Man rennt hier mit gespaltenem Herzen durch die Gegend“, sagt er achselzuckend.

Bianca Griese aus Bochum ist von solchen Selbstzweifeln nicht angenagt. „Ein bißchen aufgeregt“ ist die Nachwuchspolizistin kurz bevor es losgeht. „Aber Angst, daß mir großartig was passieren könnte, habe ich nicht.“ Melanie Stapper hat Angst. Nicht vor den Demonstranten. Vor dem Funkruf graust ihr, der ihre Einheit zum Castor kommandieren könnte. „Ich möchte nicht später Leukämie haben, und dann war es ein Dienstunfall“, sagt die junge Polizistin. Und hofft, daß ein anderer ran muß. Constanze von Bullion,

Neu-Tramm