■ Schlagloch
: Frankenstein ante portas? Von Klaus Kreimeier

„Wahrscheinlich nicht.“

Dr. Ian Wilmut auf die Frage, ob der Klonung eines Menschen technisch etwas im Wege stehe

Warum mußte es auch ausgerechnet ein Schaf sein? Schon als Agnus Dei wurde das sprichwörtlich fromme Tier für die Sünden der Welt geschlachtet – nun müssen Dolly und seine Opferklonung für die fadenscheinige Hoffnung herhalten, es werde ein Sinneswandel über die Menschheit kommen, verderblichem Forscherdrang Einhalt gebieten und dem Wahn, alles Machbare müsse auch zu machen sein, ein Ende setzen. Die Aufregung ist groß – aber wahrscheinlich hat Alan Colman, Direktor der Biotech-Firma PPL und Sponsor des ebenso tüchtigen wie naiven Dr. Wilmut, recht mit seiner Behauptung, die Kreation Dollys aus der erbbiologischen Retorte sei kein Quantensprung, sondern nur ein weiterer Schritt in der bisher schon recht respektablen Kette gentechnischer und reproduktionsmedizinischer Experimente.

Ein beachtlicher Schritt immerhin, der in der Geschichte der Genmanipulation die Samenzellen und damit die Vaterschaft erstmals zur zu vernachlässigenden Größe degradiert – Dolly wurde bekanntlich von drei Müttern, einer Genmutter, einer Eimutter und einer Leihmutter, in die Welt gesetzt. Dennoch ist ihre Herstellung keine Sternstunde des feministischen Fundamentalismus, denn wir alle ahnen, daß das Patriarchat so lange nicht vom Sockel stürzen wird, wie hochbegabte, aber gegenüber dem gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang (von Ethik gar nicht zu reden) blinde Spezialistinnen und Spezialisten im staatlichen Auftrag oder finanziert von der Industrie Einrichtungen verwalten, die äußerlich noch wissenschaftlichen Instituten ähneln, obwohl sie längst zu Zentren der Machttechnokratie und der Konkurrenz um Milliardenaufträge geworden sind.

Wie wird es weitergehen? Geklonte Rinder, die längst in Arbeit sind, sollen die Milch- und Fleischproduktion ins Unermeßliche steigern. Dabei weiß jeder, daß ein Drittel der Menschheit nicht etwa darum hungert, weil es zu wenige Kühe gäbe, die ordentlich ihren von der Natur vorgesehenen Dienst versehen. Ihre von Dr. Wilmut geplante Multiplizierung wird die ohnehin schrumpfenden Weideflächen auf unserer schon halb zubetonierten Welt noch schneller reduzieren. Außerdem ist der Multiplikationsfaktor noch völlig unbekannt, der mit dem geklonten Vieh auch geklonte Viren in Umlauf bringen und die Gesundheitsministerien mit einer heute noch gar nicht absehbaren BSE-Virtual- Reality in Atem halten wird. Die (von Fachleuten eher angezweifelte) Hoffnung, daß mit Hilfe genmanipulierter Ersatzteillager im tierischen Uterus moderne Menschheitsgeißeln wie Krebs oder Aids zu schlagen seien, könnte mithin ganz neue Geißeln in die Welt bringen, von denen wir heute noch gar nichts wissen.

Bestenfalls also können wir Dolly mit dem Schiff vergleichen, von dem Paul Virilio gesagt hat, daß mit seiner segensreichen Erfindung auch der Schiffsuntergang programmiert war. Schiffsuntergänge sind zugegebenermaßen selten geworden; insgesamt hat sich die Erfindung bewährt. Von der Nukleartechnologie wage ich heute noch nicht zu behaupten, daß ihre zweifellos vorhandenen Errungenschaften ihre Nachteile – genauer: ihre menschheitsbedrohenden Gefahren – überwiegen werden. Die Zuversicht, daß man unlauteres Hantieren mit den Genen wirksam verbieten könne, so wie man Linksfahren im Straßenverkehr verbieten kann, ist äußerst riskant – schon mit Blick auf die Geisterfahrer.

Spätestens jetzt müssen wir uns über die Geisterfahrer im schottischen Dorf Roslin und in der futuristischen Landwirtschaft überhaupt Gedanken machen, die sich den Deibel darum scheren, ob sie einen menschheitsgeschichtlichen Crash riskieren. Einmal Erkanntes kann man nicht durch Verbote in Nichterkanntes zurückverwandeln. Treuherzig hat Dr. Wilmut bekannt, daß ihn pure patentrechtliche Erwägungen noch vor Jahresfrist bewogen hätten, von seinen Experimenten mit Dolly zu schweigen. Man kann hochrechnen, wie viele Forscher seinesgleichen schon heute an der nächsten Stufe biotechnischer Erkenntnisse werkeln.

Alles redet jetzt natürlich vom machbaren Homunculus. Frankenstein steht ante portas – und mit ihm die „Vertreibung des Menschen aus der Mitte seiner selbst“, wie es vornehm unser Frankfurter Intelligenzblatt formuliert. Wird es den geklonten Menschen geben? Selbstverständlich wird es ihn geben – wenn es ihn nicht schon längst gibt.

Wir wissen wenig oder gar nichts – und das ist das Gräßliche. Die Direktive formulieren Leute wie Robert Edwards, seines Zeichens Retortenbabyproduzent in den USA: Die Ethik müsse sich der Wissenschaft anpassen, nicht umgekehrt. Das war schon immer so, seit Kopernikus gibt es in dieser Hinsicht im Westen nichts Neues. Gearbeitet wird an der naturwissenschaftlichen Wahrheit – und die Wahrheit ist womöglich nicht mehr als die Erkenntnis, daß der Mensch ein Wesen ist, das sich selbst so lange auseinandernimmt, bis seine Nichtigkeit beziehungsweise seine unendliche Multiplizierbarkeit erwiesen ist.

Gibt es für den geklonten Menschen einen Bedarf? Nein, es gibt keinen Bedarf. Aber der Kapitalismus, erst recht der schrankenlose, fragt nicht nach Bedürfnissen, sondern produziert sie selbst, um dann an ihnen zu verdienen. Wenn er eine Sache verwirft (wie zum Beispiel den Wankelmotor um die Jahrhundertwende), dann nicht aus Vernunft, noch weniger moralischen Erwägungen zuliebe, sondern aus Marktkalkül. Retortenbabies zum Beispiel haben längst einen florierenden Markt geschaffen, der Börsenkurse steigen oder fallen läßt. Die katholische Kirche protestiert, aber die Kapitalisten verhalten sich nicht anders als Stalin, der mitleidig gefragt hat, wie viele Regimenter der Vatikan in die Schlacht werfen könne. Und schließlich: Hat nicht schon der Protest gegen Kopernikus den Papst und mit ihm alle Moralisten dieser Welt nachhaltig diskreditiert? Leihmutterschaft, Samenspende, „Sexing“ (Geschlechtswahl für das geplante Kind), die Separierung von Embryos nach Erbveranlagungen usw. usf. – all das läuft doch schon lange wie am Schnürchen, wenn nicht in Europa, dann in den USA.

Aber ein bißchen übertrieben ist das Theater schon. Keiner regt sich darüber auf, daß (medial) geklonte Menschen massenhaft im Fernsehen zu besichtigen sind, in der Werbung und anderen Daily Soaps. Sie sind die wirkliche Avantgarde. Die ganze Klonerei wird der menschlichen Spezies eine neue und schon ziemlich verbrauchte Physis verpassen: jung, schön, muskulös und makellos bis zum Exzeß. Genies oder auch nur einigermaßen gebildete Menschen werden nicht dabei herauskommen – vor dieser Illusion warnt sogar Dr. Wilmut. Erst recht keine Menschen nach politischem Zuschnitt – daran sind schon die SS- Leute mit ihrem „Lebensborn“ und die Kommunisten mit ihrer Menschenzersetzungsstrategie gescheitert. Ein paar Claudia Schiffers mehr werden herumlaufen, aber von denen gibt es eh schon mehr als genug. Klaus Kreimeier