Kanther als Kinderschutzpräsident

Für das gestern von Roman Herzog eröffnete „Europäische Jahr gegen Rassismus“ hat ausgerechnet der Bundesinnenminister die Schirmherrschaft übernommen  ■ Aus Berlin Julia Naumann und Nathalie Daiber

Das Publikum im Haus der Kulturen der Welt hatte sich gerade entspannt zurückgelehnt. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) redete bei der nationalen Eröffnungsveranstaltung zum Europäischen Jahr gegen Rassismus. Doch dann hob sich die Stimmung, Transparente mit der Aufschrift „Heuchelei“ und „Keine Visumpflicht“ wurden entrollt. Die hinteren Ränge, besetzt mit Kindern und VertreterInnen aus verschiedenen MigrantInnenorganisationen, klatschen. „Heuchler“-Rufe übertönten die begeisterten Pfiffe. In den ersten Reihen war aber Ruhe. Sie klatschten erst, als Diepgen den Bundespräsidenten Roman Herzog begrüßte, der das Jahr – initiiert von der Europäischen Union – für Deutschland eröffnete.

Herzog rief zu Wachsamkeit gegenüber allen Formen des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus auf. Der Staat allein sei allerdings im Kampf gegen den Rassismus überfordert. „Wir müssen auch Köpfe und Herzen der Menschen für mehr Toleranz gewinnen.“ Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten sich im Kampf gegen Rassismus engagieren. Einige davon waren bei einem „Markt der Möglichkeiten“ im Foyer im Berliner Tiergarten mit Ständen vertreten.

Da war alles möglich. Neben der Türkischen Gemeinde Deutschlands, SOS Rassismus und amnesty international stellten das Bundesministerium für Inneres, die Polizei, das Landesamt für Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt Berlin aus. Auf die Frage, was das LKA denn gegen Rassismus anzubieten habe, rang Dieter Bergmann, Kommissar beim LKA, nach Worten: „Wir befassen uns mit Jugendgewalt, und irgendwie hat das ja auch mit Rassismus zu tun.“ Eindeutiger ist da der Stand des Bundesinnenministeriums. Federführend für alle Veranstaltungen in Deutschland – auch die Stände auf dem Markt der Möglichkeiten – ist deren Abteilung für Innere Sicherheit.

Möglich ist auch so einiges im Nationalen Koordinierungsrat für das Jahr. Unter der Überschrift der nicht staatlichen Organisationen (NGO) sitzen da Sat.1, RTL und der WDR, aber auch der Bundesverein der Arbeitgeberverbände und die Bundeszentrale für politische Bildung sind vertreten. Pro Asyl sei nur unter ziemlichem Druck in den Koordinierungsausschuß gekommen, so die Europaabgeordnete Claudia Roth von den Grünen. In diesem Ausschuß werden die Veranstaltungen und Projekte für das Jahr geplant. 400 Projektanträge liegen jetzt im März vor, im Dezember soll das Jahr mit einer Abschlußveranstaltung in Frankfurt am Main enden. Nur eine Handvoll Projekte haben überhaupt Aussicht auf eine Finanzierung. 4,7 Millionen Ecu (rund 10 Millionen Mark) sind von Brüssel für die ganze Europäische Union bewilligt. Das bedeutet, daß pro Land gerade mal fünf oder sechs Projekte umgesetzt werden könnten.

Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration befürchtet, daß das antirassistische Jahr lediglich ein Lippenbekenntnis sei angesichts der zu erwartenden Massenabschiebungen Anfang April von bosnischen Flüchtlingen und der von Innenminister Kanther eingeführten Visumpflicht für ausländische Kinder. Kritische Stimmen werden auch bei den Ausländerbeauftragten laut. „Die Grundidee ist nicht verkehrt, aber es leuchtet nicht ein, warum das Innenministerium die Federführung hat und nicht die Bundesbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen“, so der Ausländerbeauftragte von Leipzig, Stojan Gugutschkow. Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir kritisiert: „Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, daß ausgerechnet Kanther die Koordinierung übernommen hat. Da wurde der Bock zum Gärtner gemacht, genausogut hätte man Kanther zum Kinderschutzpräsidenten machen können.“

Die Kritiker sind aber auch am Dienstag lautstark auf der Straße zu hören. Rund 1.000 Leute trafen sich vor dem Brandenburger Tor, um gegen die Ausländerpolitik der Bundesregierung und die heuchlerische Eröffnung zu demonstrieren. Organisiert wurde die Demo von einem breiten antirassistischen Bündnis, darunter PDS, Bündnis 90/Die Grünen und die Antirassistische Initiative.

Bei der Abschlußkundgebung vor dem Haus der Kulturen der Welt beschlagnahmte die Polizei ein Transparent mit der Aufschrift „Landowsky und Schönbohm, Wegbereiter des NS-Terrors“. Weder den CDU-Fraktionsvorsitzenden in Berlin noch den Innensenator wollte die Polizei offensichtlich so betitelt wissen. Zwei Personen wurden deswegen kurzzeitig festgenommen. Eine Person wurde verletzt.