Cool sein, schwul sein

■ Der Pädagoge Ulrich Hütter fordert mehr Jungenarbeit und die Mannsbilder dazu

„Mädchenarbeit– O.K., Jungenarbeit – OJE!“überschreibt der Bremer Pädagoge Ulrich Hütter seinen Vortrag, den er bei der heutigen Tagung im WIS (Wissenschaftlichen Institut für Schulpraxis) hält. „Koedukation auf dem Prüfstand“, so der Tagungsgegenstand. Praxis-Versuche werden vorgestellt, wie die elektronische Bremer Schülerinnenzeitung „Abgeschminkt“oder „Was tun im Musikunterricht“im Mädchen-Jungen-Vergleich. Ulrich Hütter ist Mitbegründer der 12-köpfigen Lehrer-Arbeitsgruppe „Jungen brauchen Mannsbilder“, die sich seit drei Jahren für mehr Jungenarbeit in den Bremer Schulen stark macht. Hütter selbst arbeitet mit 10- bis 13-jährigen Jungs. Ein Interview.

taz: Sie taufen Ihre Projektwochen: Junge, Junge, starke Kerle. Brauchen die Jungs Unterstützung in diese Richtung?

Ulrich Hütter: Unbedingt. Mit den Jungs wird ja immer auch das Thema Gewalt an Schulen assoziiert. Da ist auch was dran. Ich möchte sogar behaupten, ohne die Jungenprobleme gäbe es an den Schulen überhaupt keine Schwierigkeiten.

Ich nehme aber mal an, daß Sie die Jungs nicht in ihrem Gewaltpotential – das außerdem auch Mädchen mitbringen – bestärken wollen. Worum geht es Ihnen?

Mir geht es darum, daß wir zum Beispiel das Thema männliches Gewaltmonopol aufgreifen. Wir Lehrer müssen greifbar und auch angreifbar für die Jungs sein. Das ist auch ein Vorwurf an meine Geschlechtsgenossen, die sich da gerne drücken. Die Möglichkeit, Halbgruppen einzurichten, wird zu selten wahrgenommen.

Was soll denn nun in dem Förderangebot für Jungs geschehen?

Die Männer sollen hinhören auf das, was die Jungs äußern. So nach dem Motto: Was will uns das Gegröle sagen? Wichtig ist, daß man die lautstarken Jungen in einer Gruppe überhaupt erstmal zur Ruhe kommen läßt. Man muß diese Rastlosigkeit beenden, damit dann die einzelnen Jungen sich selbst wahrnehmen können. Davon sind sie ja meilenweit entfernt.

Nun sind aber die Jungs – wie die Mädchen – nicht alle gleich.

Klar. Eine Gruppe, die in dem ganzen Getümmel leicht übersehen wird, ist die Gruppe der stillen und zurückgezogenen Jungs. Oder auch die Gruppe der dicken, kleinen, sogar fetten Jungs, die körperlich schwach und eben nicht sportlich sind und dem landläufigen Idealmodell eines Jungen nicht entsprechen.

Fußball oder Billard sind in Ihren Gruppen demnach out? Was ist stattdessen in?

Wenn Sie vordergründig nach Interessen fragen, sagen die Jungs tatsächlich: Fußballspielen. Fragt man ein bißchen genauer nach und peppt das vielleicht mit Bildmaterial auf, stellt sich was ganz anderes raus. Bei einer Gruppe zum Beispiel die Themen: Cool sein, schwul sein und Kondome. Das war dann natürlich mein Job, die Themen aufzubereiten. Im Bereich Kondome sind wir zu Pro Familia. Beim Thema Schwulsein wollten die Jungs nicht zu Pro Familia. Da sind wir dann über Filme, Broschüren und Gespräche rangegangen.

Es heißt immer, die Mädchen kämen in gemischten Klassen mit dem, was sie interessiert, nicht durch. Sagen Sie etwa, daß die Jungs auch nicht durchkommen?

Natürlich nicht. Die Jungs beanspruchen außerdem die Aufmerksamkeit von Lehrerinnen und Lehrern über Gebühr. Wenn man aber unterm Strich kuckt, dann sind bundesweit – wenn man das Abitur als Stichpunkt nimmt – die Mädchen die Gewinnerinnen unseres Schulsystems. Es machen mehr Mädchen Abitur und dann auch noch mit den besseren Zensuren. Und mal ganz böse formuliert: Die Jungs werden mit dem schlechteren Schulabschluß abgespeist.

Das hört sich so an, als wäre im Schatten der Mädchenförderung plötzlich die Not der Auslöser wiederentdeckt worden.

Das Thema Jungenarbeit entstand zum Teil schlicht aus dem Dilemma heraus, daß, wenn Kolleginnen sich um die Mädchen gekümmert haben, die Frage im Raum stand: Was ist denn nun mit den Jungen? Schicken wir die nach Hause oder was machen wir?

Fragen: Silvia Plahl