■ Vorschlag
: Anonymität als Versprechen: „Bye, bye“ von Karim Dridi im fsk

Gemäß dem Diktum, daß die Erde rund sei, gibt es für Heimatlose keinen Ort des Ankommens. Marseille, Stadt am Meer: Ismael (Sami Bouajila) und sein jüngerer, 14jähriger Bruder Mouloud (Ouasini Embarek) besuchen die Familie ihrer Tante, um vorübergehend bei ihr zu wohnen. Sie sind aus Paris geflohen, wo – wie aus schnipselhaften Rückblenden kombinierbar wird – eine Familientragödie passiert ist, für die Ismael sich verantwortlich fühlt. Doch in Marseille sind die Dinge auf ihre Art genauso kompliziert wie da, wo die beiden herkommen. 1995 erhielt der Film „Bye, bye“ des französischen Regisseurs Karim Dridi den Prix de la Jeunesse in Cannes. Mit zwei Jahren Verspätung startet er jetzt in Deutschland.

Schauplatz des Film ist Panier, das „Araber“-Viertel von Marseille. Die Familie der beiden Flüchtlinge, so erfahren wir über Telefonate, ist zurück nach Tunesien übergesiedelt und will, daß die beiden nachkommen. Doch die fühlen sich als Franzosen. In ihrem Frankreich allerdings haben sie mit den eigenen Traditionen genauso Schwierigkeiten wie mit den Arbeitskollegen von Ismael, denen der Rassismus zur zweiten Natur geworden ist. Die Fronten verhärten sich mehr und mehr, und für Ismael scheint sich eine fatale Dynamik in Gang zu setzen: Je mehr er sich einläßt, je mehr Kontakte er eingeht, desto isolierter steht er da. Die schmalen Regionen der Freiheit, zu denen Mouloud sich hingezogen fühlt, gliedern sich nach ineinander verschwimmenden Feldern von subkulturell bis illegal: von HipHop über Drogenhandel bis Vandalismus, die mehr aufgrund ihres befreienden Vermögens denn aus ideologischen Gründen gehandhabt werden. Ismael beginnt eine sexuelle Beziehung zur Freundin seines besten Freundes, Mouloud sucht die Nähe des koksenden, waffenschwingenden Profiteurs Renard. Dann ist Mouloud verschwunden, und Ismael erweist sich wiederum als Suchender, der diesmal die Straßen von Marseille durchkämmt, dabei jedoch kaum auf etwas anderes als Desinteresse stößt.

Die Enge von Panier ist auch eine der sozialen Eingebundenheit. Immer wieder ist das Anonyme das Versprechen. „Bye, bye“ ließe sich sicher als ein Porträt der Kultur der in Frankreich lebenden Nordafrikaner bezeichnen. Der Regisseur Karim Didri ist selbst tunesischer Herkunft. Mehr noch aber erzählt er von der Suche nach Lebens- und Erlebnisräumen, die noch nicht zu sind. Auch Marseille erweist sich zuletzt als Ort, von dem es sich zu verschwinden lohnt. Wohin? Vielleicht nach Spanien. Hauptsache: Bye, bye. Hannes Klug

„Bye, bye“ von Karim Dridi ab heute im fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg